Mülheim. . Ausgerechnet in einer persönlich sehr schwierigen Lebensphase treffen ihn ein Verdacht der Untreue und massiver Druck aus der eigenen Partei.
„So lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes“ – Ulrich Scholten (SPD) hatte jenen Vers des Apostels Paulus gewählt, als er nach seinem Amtsantritt als Gast in der Petrikirche predigte. Derzeit umgibt ihn viel Finsternis. Die Erkrankung, die ihn zur Operation zwang, vor allem aber der plötzliche Tod seiner Frau, die beruflichen Sorgen eines Oberhauptes einer Kommune, die finanziell am Boden liegt. Und in der Phase versuchen einige führende Genossen der SPD ihn zum Rücktritt zu bewegen – auch unter dem Verdacht der Untreue. „Ich bin irritiert und auch menschlich enttäuscht“, sagte Scholten am Mittwoch zu dieser Zeitung.
Gesund werden, Kräfte aufbauen, wieder in der Lage sein, Probleme zu bewältigen, möglichst bald seinen Job im Rathaus wieder wahrnehmen – daran arbeite er derzeit, auch mit seinen Töchtern. Untreue? Bis gestern habe man ihm keinen einzigen Beleg von möglichen Versäumnissen oder eines Fehlverhaltens vorgelegt. „Transparenz war mir immer wichtig, daran will ich auch weiter arbeiten“, versichert er. Warum jetzt die Vorwürfe, die wiederholten Rücktrittsforderungen, warum jetzt, wo er quasi außer Gefecht ist? Für ihn sei das ein Rätsel, sagt Scholten. Andere sprechen von einem Gesamtbild, das der OB in Amtsführung und Außendarstellung abgebe, das höchst bedenklich sei.
Scholten: Habe Zuspruch und aufmunternde Worte erhalten
Er habe, und das baue ihn ein wenig auf, in den vergangenen 24 Stunden viel Zuspruch und aufmunternde Worte erhalten, viel von Partei- und Fraktionsmitgliedern – gerade auch jenseits der SPD, sagt Scholten. Er gehört 45 Jahre der SPD an, sitzt seit 20 Jahren im Stadtrat, lebt seit über 30 Jahren in Eppinghofen, war 18 Jahre lang Personalchef in der Stahlbranche. Die Nähe zu Malochern betont er als OB gerne.
Im Rat gehörte Scholten lange nicht zur ersten, nicht einmal zur zweiten Garde. Dennoch fiel die Wahl auf ihn, als die damalige Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld nicht mehr antreten wollte. Lange hatten die Genossen nach einem OB-Kandidaten gesucht und sahen in Scholten plötzlich den Besten überhaupt. Mit einem Ergebnis deutlich über 90 Prozent machten sie ihn zum Unterbezirkschef, der er heute immer noch ist. Mit 57,1 Prozent der Stimmen wählten ihn die Mülheimer im Herbst 2015 zum Oberbürgermeister. Als „Kümmerer“ gab Scholten sich aus. „Als Managertyp mit sozialem Gewissen“ bezeichnete ihn Constantin Körner, damals stellvertretender Unterbezirkschef. Mit Scholten zog auch ein neuer Typ Verwaltungschef ins Rathaus. Wo Dagmar Mühlenfeld manchen zu dominant und oberlehrerhaft daherkam, wirkte er mehr kumpelhaft, lockerer.
Schon im Sommer 2016 war der Druck auf Scholten groß
Doch seine eigene Fraktion machte schon bald Druck auf den OB und Parteivorsitzenden Scholten. Kein richtiges Ziel vor Augen, kein großes Projekt im Angriff, zu lasche Führung nicht nur der Ratssitzungen, auch im eigenen Referat. Die Unzufriedenheit wuchs. Schon im Sommer 2016, so bestätigte Fraktionsgeschäftsführer Claus Schindler am Mittwoch, habe er mit dem damaligen Fraktionschef Dieter Wiechering diesbezüglich ein Gespräch mit Scholten gesucht, Besserung angemahnt, politische Unterstützung zugesagt. Weil sich nichts bewegt habe, habe er im Januar 2018, diesmal mit dem neuen Fraktionschef Dieter Spliethoff, erneut und erfolglos versucht, auf Scholten einzuwirken. „Es war kein Leitfaden zu erkennen, an dem sich die Stadt entwickeln kann“, sagt Schindler. Aus dem Referat des Oberbürgermeisters sei nie die „Pace“ gekommen, die einzufordern sei, so Spliethoff.
Auch das Gespräch im Januar, betonen beide, sei nicht an Rücktrittsforderungen gekoppelt gewesen. Zu hören ist dennoch, dass aus der Fraktion mehrfach solche Forderungen laut geworden seien, gegenüber dem vom Volk gewählten Oberbürgermeister. Und mancher Politiker fragt sich: Glaubt die SPD, mit ihm nicht mehr die Wahlen in zwei Jahren gewinnen zu können? Heißt die Krise vielleicht gar nicht Scholten, sondern SPD?
Oberbürgermeister erwartet mehr Fairness
An Rücktritt denkt Scholten nicht, wie er im Gespräch mit dieser Zeitung sagt. Mehr Fairness erwartet er. Doch gibt es im Stadtrat einige, die damit rechnen, dass es in diesem Jahr noch eine OB-Wahl geben könnte – nicht aus juristischen, eher aus politischen Gründen. Für gut empfände das nicht jeder, weil sich kaum einer vorstellen kann, wer es in der jetzigen Lage machen sollte – und könnte. So herrscht über dem Rathaus derzeit mehr Finsternis als Licht.