Mülheim. . Vor den Augen des 22-jährigen Feuerwehrmanns ertrank ein gleichaltriger Syrer in der Ruhr. Er und seine Kollegen müssen mit solchen Dramen leben.

Als am 22. April, einem sonnigen Sonntag, ein junger Syrer von der Schloßbrücke sprang, waren viele Menschen vor Ort, aber einer besonders nah dran: Joshua Stracke, Rettungssanitäter und Feuerwehrmann. Er war ins Wasser gestiegen, um zu retten, „ich habe noch seinen Kopf gesehen, etwa 50 Meter entfernt, aber dann nicht mehr“.

Vor seinen Augen ist ein Mann ertrunken, der genau gleichaltrig war, 22 Jahre. Dass Joshua Stracke überhaupt so schnell reagieren konnte, war Zufall: Er hatte Dienst auf dem Rettungswagen, sie waren gerade auf dem Rückweg vom Krankenhaus zur Wache, kurz vor der Schloßbrücke. „Da habe ich über Funk gehört, dass jemand in die Ruhr gesprungen ist“, berichtet der Feuerwehrmann. Sie bogen ab zur Ruhrpromenade, „ich habe ihn noch schwimmen sehen“, er warf seine weiße Sanitäterkleidung ab und stürzte sich ins Wasser.

Tauchversuche im trüben Wasser

Als der Kopf des Ertrinkenden nicht mehr zu sehen war, nach mehreren ergebnislosen Tauchversuchen im trüben Wasser, „da war für mich schon klar, dass wir ihn nicht mehr rechtzeitig finden werden“, sagt Stracke. Obwohl es nicht lange dauerte, bis Boote und Taucher angerückt waren, eine groß angelegte Suchaktion startete.

Nachdem Stracke tropfnass aus dem Fluss gestiegen war, zog er sich wieder an und arbeitete einfach weiter. „Wir haben ihm angeboten, dass er vom Rettungswagen runter gehen kann, wenn er möchte“, erklärt Thorsten Drewes, Sprecher der Mülheimer Feuerwehr, der an besagtem Sonntag als Einsatzleiter Verantwortung trug. Doch der junge Kollege lehnte ab: „Wenn ich nur auf der Wache gesessen hätte, hätte ich mir mehr Gedanken gemacht. So konnte ich mich schon wieder auf den nächsten Patienten konzentrieren.“ Er hätte auch Feierabend machen, sich den Rest der 24-Stunden-Schicht einfach schenken können. Stracke half lieber den herbeigeeilten Feuerwehrtauchern, ihre Sachen zu schleppen.

Arbeit kann sehr belastend sein

„Für uns“, sagt Drewes aus langjähriger Berufserfahrung, „war es ein besonderer Einsatz, weil wir den Überlebenskampf des jungen Mannes noch gesehen haben. Das ist schon ziemlich heftig.“

Überhaupt einzugestehen, wie belastend die Arbeit sein kann, sei in seinen Anfangsjahren, Mitte der Achtziger, nicht üblich gewesen, erinnert sich Drewes. „Da hieß es: ,Wenn du das nicht abkannst, hast du hier nichts zu suchen.’ Da hat man viel in sich reingefressen. Heute gibt es sehr viel mehr Verständnis und Gesprächsbereitschaft im Kollegenkreis.“ Und es gibt professionelle Angebote, sich psychosozial begleiten zu lassen.

Notfallseelsorger hat eigenes Büro

Drewes nennt etwa die Präsenz des Notfallseelsorgers Guido Möller, der in der Hauptwache in Broich ein eigenes Büro hat. „Nach dem tödlichen Fahrradunfall im Oktober beispielsweise, als das junge Mädchen von einem Betonmischer überrollt wurde, haben mehrere Kollegen die Möglichkeit genutzt, mit Möller zu sprechen.“

Schon auf dem Weg in den Beruf soll der Feuerwehrnachwuchs psychologische Unterstützung erhalten, es finden Workshops mit Notfallseelsorgern statt. Bei Joshua Stracke, der aus Steinfurt stammt und erst kürzlich nach Mülheim gezogen ist, liegt die Ausbildung erst ein Jahr zurück. „Für mich war immer klar, dass ich zur Feuerwehr möchte“, sagt der 22-Jährige. Familientradition, sein Vater ist Feuerwehrmann, sein Opa war es.

Das Drama an der Ruhr sei nicht sein erster extremer Einsatz gewesen, sagt Stracke. Auf dem Rettungswagen habe er tödliche Verkehrsunfälle miterlebt, schwerste Brandverletzungen behandelt. „Ich werde mich aber sicher mein Leben lang an diesen Einsatz an der Ruhr erinnern.“ Als die Leiche fünf Tage später nahe der Konrad-Adenauer-Brücke auftauchte, hatte Stracke keinen Dienst. Es blieb ihm erspart, den Toten zu bergen, „ich hätte auch nicht mitgemacht“.

>> Unterstützung für Helfer und Betroffene

- Auf Psychosoziale Unterstützung (PSU) haben Einsatzkräfte einen rechtlichen Anspruch nach dem Arbeitsschutzgesetz. Dies gilt für Berufs- ebenso wie für freiwillige Feuerwehrleute.

- Unterstützung bei belastenden Einsätzen leisten gemischte Teams aus besonders geschulten Einsatzkräften (PSU-Helfer oder PSU-Assistenten) und Fachkräften, beispielsweise Notfallseelsorger.

- Daneben gibt es die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) für Betroffene, etwa Opfer, Angehörige oder Augenzeugen. Sie wird im Auftrag der Kommunen in der Regel durch die Kirchen wahrgenommen