Als Notfallseelsorger muss Pfarrer Guido Möller immer mit dem Schlimmsten rechnen. Man merkt es ihm nicht an, als er die Pakete mit der Infobroschüre über die psychologischen und sozialen Herausforderungen der Notfallseelsorge in sein Büro im ersten Stock der neuen Feuerwache an der Duisburger Straße bugsiert.
Wenn Möller nicht gerade als Notfall- oder Krankenhausseelsorger unterwegs ist, bildet er haupt- und ehrenamtliche Notfallseelsorger aus, schreibt Dienstpläne, pflegt seine Kontakte zu Gott und der Welt in Mülheim und seinen Nachbarstädten oder unterrichtet an der Krankenpflegeakademie des St. Marien-Hospitals Ethik.
„Notfallseelsorge funktioniert nur kollegial“, sagt Möller. Wenn der laufende Ausbildungskurs im Herbst beendet sein wird, werden ihm 21 haupt- und 29 ehrenamtliche Kollegen in der Notfallseelsorge zur Seite stehen.
Ansprechend und ansprechbar
Dass Möller ein Gemeinschaftsmensch ist, merkt man schon daran, dass er gerne angesprochen wird und auch selbst gerne anspricht, wenn er beim Gang durch die Feuerwache auf Feuerwehrleute trifft. Da wird auch schon mal über den einen oder anderen Einsatz und das Schicksal von Menschen gesprochen, denen der Seelsorger im Notfall Beistand geleistet hat. Auch wenn Feuerwehrleute nach belastenden Einsätzen die Hilfe des Seelsorgers brauchen, steht seine Tür immer offen.
Ob der Pfarrer montags, mittwochs und freitags seinen Arbeitsplatz in der Feuerwache oder dienstags, donnerstags und am Wochenende im Marien-Hospital hat, immer kann die Ruhe des Augenblicks in einen Alarmzustand umschlagen. Wenn sein Notfallhandy klingelt, weiß Möller, dass er gefordert ist und das Einsatzfahrzeug des Roten Kreuzes ihn gleich zu einem Unglücksort bringen wird.
Wenn er nicht gerade mit seiner Frau einen seiner 42 Urlaubstage genießt, ist Möller immer erreichbar. Dann kann sein Handy zu jeder Tages- und Nachtzeit klingeln. Da sitzt er in den frühen Morgenstunden bei einem Mann, der nur mal eben beim Bäcker die Brötchen geholt und hat und bei der Rückkehr seine Frau, mit der er 40 Jahre verheiratet war, leblos auf dem Teppich liegend vorfand. Da wird er nachts zu einem jungen Mann gerufen, der einen schweren Autounfall nur leicht verletzt überlebt hat, während seine Beifahrerin getötet wurde. Da wird er am helllichten Tag zu einer Frau gerufen, die sich das Leben nehmen will, weil sie von ihrem Mann verlassen worden ist.
„Ich komme immer wieder in Situationen hinein, in denen ganze Lebensentwürfe von einem auf den anderen Moment zerstört worden sind. Da kann es keine Routine geben. Vor jedem Einsatz stelle ich mir immer wieder die Frage: Kann ich den Menschen in ihrer Notsituation die Hilfe geben, die sie brauchen?“, erzählt der Gottesmann, der sich 2002 von seinem Pfarr-Kollegen Helmut Kämpgen für die Notfallseelsorge gewinnen und ausbilden ließ.
Die gute Erfahrung einer seelsorgerischen Begleitung, die er nach dem Selbstmord eines Bundeswehr-Kameraden erlebte, gab für ihn damals den Ausschlag, sich dieser Herausforderung zu stellen. „Da kommt der Notfallseelsorger. Jetzt wird alles wieder gut, höre ich an manchen Einsatzorten. Doch ich weiß: Nichts wird wieder gut. Ich kann Menschen nur beistehen, in dem ich für sie da bin, sie halte, den Schmerz und auch die Wut auf Gott und ihr Schicksal mit ihnen aushalte und versuche die ersten Stunden nach dem Unglück für sie zu strukturieren“, beschreibt Möller seine Aufgabe. Auch der Theologe, der in dem Bewusstsein lebt, „dass meine Zeit nicht in meinen Händen liegt und das ich mit meinen bescheidenen Möglichkeiten nicht alles regeln kann und regeln muss, weil es einen Höheren gibt“, kennt „die Achterbahn der Gefühle und die wütende Frage an Gott: Warum lässt du das zu? Warum lässt du es zu, dass ein Kleinstkind durch einen plötzlichen Herzstillstand seinen eben noch glücklichen Eltern entrissen wird?“ Dann erlebt der Pfarrer seinen Glauben immer wieder als eine Berg- und Talfahrt, an deren Ende für ihn aber die Zuversicht steht, dass das plötzlich gestorbene Kind ebenso in Gottes Hand geborgen ist wie der LKW-Fahrer, der einen Fußgänger im toten Winkel nicht gesehen hat oder wie eben der so auf tragische Weise zu Tode gekommene Fußgänger.
Doch zuweilen braucht auch der Helfer Hilfe, etwa als ihn nach seinem mehrtägigen Einsatz bei der Love-Parade-Katastrophe in Duisburg die Stimme wegblieb oder als ihm während einer Bildmeditation über das Jesus-Kind die Tränen kamen, weil er an ein kurz zuvor verstorbenes Kleinkind denken musste.
Hilfe und Halt geben Möller nicht nur professionelle Supervision und eine vertraute und starke Gemeinschaft der haupt- und ehrenamtlichen Helfer, sondern auch seine Frau, die der ruhende Pol ins seinem Leben ist und dafür sorgt, dass ihr Mann durch gute Ernährung, Liebe und ausreichenden Schlaf stark bleibt und die wichtigsten Lehren aus seinem Berufsleben beherzigt: „Jetzt leben, nichts auf die lange Bank schieben und soziale Kontakte pflegen.“