Mülheim. Jobkiller Digitalisierung? Arbeitsagentur-Chef Jürgen Koch sieht für den Mülheimer Arbeitsmarkt größere Herausforderungen als anderswo.
Der Geschäftsführer der Arbeitsagentur, Jürgen Koch, hat große Sorgen hinsichtlich der Entwicklung am Mülheimer Arbeitsmarkt. Der Anteil der Langzeit- an allen Arbeitslosen sei in Mülheim mittlerweile revierweit am höchsten (53,6 Prozent). Im Zuge der Digitalisierung der Wirtschaft drohten in den kommenden zehn Jahren massenhaft Jobs insbesondere im verarbeitenden Gewerbe verloren zu gehen – und damit in Mülheims stärkstem Wirtschaftszweig.
Die Arbeitsmarktzahlen von November hatten schon Anlass zur Sorge gegeben. Offenbarten sie doch, dass Mülheims Arbeitsmarkt sich abgekoppelt präsentiert von den positiven Trends in Bund und Land. So ist hier nicht nur die Zahl der Menschen ohne reguläre Jobs am ersten Arbeitsmarkt im Jahresvergleich gegen den Trend gestiegen. Auch sind – wieder gegen den Trend – immer mehr Mülheimer auf Grundsicherung nach Hartz IV angewiesen – 22 000 Menschen.
Nun macht Koch noch ein weiteres Problem aus, das Mülheim härter treffen werde als andere Städte: die Digitalisierung. Seine Begründung: In der Ruhrstadt ist das verarbeitende Gewerbe mit aktuell gut 13 100 Beschäftigten immer noch der größte Wirtschaftssektor. Und in dem seien laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) relativ am meisten Jobs durch Automatisierung ersetzbar – mehr als zwei von drei Arbeitsplätze. Das, so Koch, komme noch hinzu zur ohnehin äußerst angespannten Lage vor Ort. Die Friedrich-Wilhelms-Hütte hat immense Probleme, bei Vallourec wurde schon mit dem harten Besen gekehrt, Restrukturierung ist in den übrig gebliebenen alten Mannesmann-Betrieben ebenso latent Thema wie aktuell bei Siemens.
Obwohl die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs in Mülheim seit Jahren sogar noch steigt, so auch in diesem, ist das Minus in der Metall-, Stahl- und Elektroindustrie sowie im verarbeitenden Gewerbe schon jetzt besorgniserregend: Fast 200 Jobs gingen dort alleine in diesem Jahr verloren.
„Es ist absehbar, dass eine vierstellige Zahl an Arbeitsstellen in Fertigungsberufen kurz- oder mittelfristig wegfallen wird“, sagt Koch, wohlwissend, dass ältere Arbeitnehmer ab 55 Jahren wieder einmal schwer anderweitig zu vermitteln, für sie Sozialplan-Lösungen zu suchen sein würden.
Dessen ungeachtet, sei die Stärkungsinitiative der Mülheimer Arbeitsmarktakteure für den Industriestandort begrüßenswert, „ein sehr konkreter Plan“, mit dem etwa eine stärkere Vernetzung der Akteure mit Schwerpunkt auf der Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft verfolgt werde. So könne es gelingen, „das Bestmögliche“ aus der aktuellen und künftigen Herausforderung zu machen.
Oberhausen profitiert von Ansiedlungen
Warum entwickelt sich Mülheims Arbeitsmarkt im Vergleich zu anderen derart negativ?
Viele Aspekte spielten hier eine Rolle, sagt Agentur-Geschäftsführer Jürgen Koch und blickt nach Oberhausen. Dort habe es zuletzt größere Ansiedlungen von Knappschaft, Poco, Black.de, im Hotel- und Gaststättenbereich gegeben. Edeka werde ein großes Zentrallager bauen. In Mülheim habe es diese Ansiedlungen, auch mangels Flächen, nicht gegeben.