Essen/Mülheim. . Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme verteidigt die tiefen Einschnitte. Mülheims Betriebsrat Pietro Bazzoli zeigt sich empört.

Es ist selten, dass Gerhard Cromme Interviews gibt. Als Vorsitzender des Siemens-Aufsichtsrats überlässt Cromme Vorstandschef Joe Kaeser die große Bühne. Kurz vor seinem Abschied an der Spitze des Siemens-Kontrollgremiums schaltet sich Cromme nun aber wortstark ein – und verteidigt vehement die geplanten Einschnitte in der Kraftwerkssparte, von denen auch das Werk in Mülheim betroffen ist.

„Wir können keine Turbinen bauen, die wir dann auf dem Werksgelände vergraben müssen, weil sie niemand haben will“, sagte Cromme dem Handelsblatt. „Das sind wir auch dem Rest des Konzerns schuldig, den wir irgendwann bedrohen würden, wenn wir ohne gegenzusteuern einfach weitermachten.“ Die Nachfrage in der fossilen Energieerzeugung sei drastisch eingebrochen, und der Markt werde sich auch nicht wieder erholen, betonte Cromme.

Cromme gegen Quersubventionierungen

Der Siemens-Vorstand hatte angekündigt, in der Sparte Power & Gas in den nächsten Jahren weltweit 6900 Stellen zu streichen – die Hälfte davon in Deutschland. Am Standort Mülheim sind 741 Stellen bedroht, aus einem früheren Programm sind auch noch rund 100 Stellen auf der Streichliste.

Den Vorwurf, Siemens erwirtschafte als Konzern sechs Milliarden Euro Gewinn und streiche trotzdem Jobs, wies Aufsichtsratschef Cromme zurück. „Wir können und dürfen die Gewinne anderswo nicht mit den Problemen im Kraftwerksgeschäft verrechnen. Die Zeiten der Quersubventionierungen sind wirklich vorbei.“

Betriebsrat fordert Alternativen zum Stellenabbau

Im Januar gibt Cromme den Posten des Siemens-Aufsichtsratschefs an den früheren SAP-Chef Jim Hagemann Snabe ab. Cromme betonte, Siemens müsse sich insbesondere für den rasanten Wandel durch die Digitalisierung rüsten.

Beim Mülheimer Siemens-Betriebsratsvorsitzenden Pietro Bazzoli lösten Crommes Äußerungen Empörung aus. „Das ist Heuschrecken-Mentalität“, sagte er. „Wenn etwas nicht funktioniert, machen wir einfach das Nächste.“ Bazzoli bemängelte, dass Cromme trotz des milliardenschweren Konzerngewinns keinen Gedanken formuliere, für die Kraftwerkssparte Alternativen zum Stellenabbau zu entwickeln.

Gespräche zum Stellenabbau sollen bald beginnen

Bazzoli regt an, das vorhandene Know-how an den Standorten zu nutzen, um Produkte für die Zukunft zu fertigen. „Wir sollten aus den erneuerbaren und den fossilen Energien keine Gegner machen.“ Für die Energiespeicherung und die Stabilität der Stromnetze beispielsweise fehle es noch an Lösungen. An dieser Stelle könne Siemens mehr bewegen, insbesondere wenn der Konzern im Ruhrgebiet die Kooperation mit Universitäten und Start-ups voranbringe.

Nach einer Aufsichtsratssitzung in München teilten die Arbeitnehmervertreter und das Management mit, sie hätten vereinbart, „unverzüglich die Gespräche“ über die Pläne des Managements aufzunehmen und „in einem offenen Dialog nach gemeinsamen Lösungen zu suchen“. In Konzernkreisen hieß es, die Gespräche sollen sowohl auf der Ebene von Vorstand und Gesamtbetriebsrat als auch an den Standorten geführt werden.