Mülheim. . Der massive Abbau der Arbeitsplätze bei Siemens war Anlass der Mitarbeiterversammlung am Freitag. Die Mitarbeiter äußern ihr Unverständnis.
- 640 der 4500 Arbeitsplätze will Siemens in Mülheim streichen, fast alle Abteilungen betroffen
- Rund 2200 Siemens-Mitarbeiter nahmen an der Mitarbeiterversammlung in der Innogy-Halle teil
- Siemensianer äußerten ihr Unverständnis und fühlen sich schlecht informiert
640 der 4500 Arbeitsplätze will Siemens vor Ort streichen – und zwar offenbar aus nahezu allen Abteilungen. „Unverständnis.“ „Wut.“ „Existenzangst.“ Einer Angestellten, die am Freitagmorgen auf der Mitarbeiterversammlung in der Innogy-Halle war, sprudeln die Worte der Enttäuschung nur so aus dem Mund. „Das ist der Anfang vom Ende“, glaubt die 50-Jährige. Sicher sei in Mülheim keiner mehr, der Stellenabbau könne jeden treffen. Auch ihre 32 Jahre im Hause seien da kein Pfund mehr: „Wir sind nur noch Nummern. Und ich glaube nicht, dass ich die Rente noch bei Siemens erleben werde.“ Immerhin gehe es den Menschen hier insofern besser, als dass es noch eine Chance gebe. „Was machen erst die Kollegen in Görlitz, wo es um Standortschließung geht?“
Die Angestellte ist eine von rund 2200 Siemensianern, die am Freitag darauf hofften, die erschreckenden Zahlen vom Vortag wenigstens erklärt zu bekommen. „Doch es war eine Frechheit: Die haben eigentlich nur die Pressemitteilung wiederholt“, schimpft ein Mitarbeiter aus der Logistik. Er kündigt Protest an: „Kampflos wird das hier nicht vonstatten gehen“, so der 60-Jährige. Ein Kollege (23) aus der Fertigung fürchtet derweil, dass es nicht bei 640 Stellen bleiben wird. „Das werden über 700; es ist ja noch nicht alles aus der letzten Runde abgearbeitet.“ Er macht seinem Ärger Luft: „Man soll motiviert sein, die Aufträge abarbeiten – und dann lassen sie einen im Dunkeln stehen.“
Sorge, bald ohne Job dazustehen
Ausgerechnet Busse der Firma „Job Tours“ fahren die Mitarbeiter, denen Arbeitslosigkeit droht, von der Sporthalle zurück zum Werk. Die Sorge, bald ohne Job dazustehen, treibt den Vater (45) eines Kindes um: „Es wir eng in Mülheim.“ Sicher könne sich bei Siemens keiner mehr fühlen, „und bei Mannesmann oder Thyssen sieht es auch nicht rosig aus.“ Vielleicht käme mancher mit blauem Auge davon, „doch für die Jüngeren gibt es in Mülheim keine Perspektive mehr.“ Der Mitarbeiter aus der Fertigung fragt sich, ob man wirklich immer nur bei der Produktion sparen müsse. „Man könnte auch mal das Management in Indien ansiedeln, mit dem dortigen Lohngefüge.“ Für ihn sei klar: „Die Situation ist nur entstanden, weil die Elite versagt hat.“
„Fehlplanungen des Unternehmens“
Ins gleiche Horn bläst ein Service-Mitarbeiter (40) und spricht von Fehlplanungen der Chefetage: „Man hätte viel früher auf erneuerbare Energien setzten können, um Arbeitsplätze zu erhalten. Aber Siemens hat lieber auf Altbewährtes gesetzt.“ Aufträge wie der aus Ägypten könnten wohl nicht mehr angenommen werden – Ressourcen fehlten.
Schnellen Schrittes verlassen die meisten Simensianer die Versammlung. Sie lassen die zahlreichen Medienvertreter links liegen, winken ab, „ich sage nichts“. Unsicherheit und Angst sind allenthalben zu spüren. Ein 37-Jähriger aus dem Service nennt es „mulmiges Gefühl“, man müsse „es sacken lassen“. Ein anderer murmelt: „Da kann man nichts zu sagen, es ist fantasielos, was da abgegangen ist.“ Ein Kollege (58) aus der Gehäusefertigung ist „sprachlos“ und fürchtet: „Auf dem Kraftwerksmarkt ist wohl Feierabend.“ Man müsse zwar protestieren, „aber das wird nichts ändern“.
Ehemalige Azubis sind maßlos enttäuscht
Zwei junge Männer, die kürzlich noch Azubis waren, sind maßlos frustriert, „weil Sachen versprochen sind, die nicht gehalten wurden“. Sie hätten darauf gesetzt, nach guter Arbeit übernommen zu werden, ständen aber jetzt bald auf der Straße. „Wenn ich dann höre, dass sie auf junge Leute setzen und die Ausbildung vorantreiben wollen, ist das doch alles nur noch blödes Gelaber“, so ein 21-Jähriger.
„Junge Kollegen sind Leidtragende“
Mitleid für die Jungen haben viele; „sie sind die Leidtragenden“, so ein 56-Jähriger, der auf lange Jahren im Qualitätsmanagement der Dampfturbinen zurückblicken kann. Seit rund zehn Jahren gehe Fachwissen verloren, bemängelt er, die Jugend müsse sich viel zu schnell einarbeiten: „Das kann nicht funktionieren.“ Enttäuscht ist er darüber, „mehr Informationen aus der Zeitung erhalten zu haben, als vom Unternehmen selbst“. Vieles sei nicht nachvollziehbar, die Geschäftszahlen sähen gut aus. In der Halle sei es „totenstill“ gewesen. Das bestätigt Maschinenbau-Ingenieur Ulrich Beul, einer der wenigen Angestellten, die sich trauen, namentlich aufzutreten.
„Die Stimmung war frostig“, berichtet er. „Aggressionen gab es aber keine, man fügt sich offenbar dem, was man hört.“ Immerhin habe man „eine hervorragende kämpferische Rede von Betriebsratschef Pietro Bazzoli gehört“. Der habe angekündigt, nicht über Kahlschlag verhandeln zu wollen, sondern über Alternativen. „Das finde ich gut“, so Beul, der seit 2001 im Qualitätsmanagement tätig ist. In Mülheim gebe es „super Leute und viel technischen Sachverstand“. Das Unternehmen solle auf dieses Können zurückgreifen und es für andere Zwecke nutzen.
Die Solidarität ist groß, selbst altgediente Kollegen bringen sich ein. Ein 57-jähriger Logistiker glaubt, dass die Standorte gegeneinander ausgespielt wurden. Ihn selbst träfen die Folgen nicht mehr; ein Aufhebungsvertrag sei unterschrieben. Dass es jetzt zu Stellenabbau kommt, überrasche ihn nicht: „Ich habe nicht anderes erwartet – die Aktionäre wollen halt Geld sehen. Es geht immer nur ums Geld.“