Mülheim. . Aktuell kommen auf einen Bewerber 0,79 Stellen. Das Verhältnis hat sich verschlechtert. Akteure rufen Unternehmer auf, sich stärker einzubringen.
- Die Arbeitsagentur notierte 1304 junge Frauen und Männer, die auf eine Lehrstelle hofften
- Gleichzeitig aber waren nur 1026 Ausbildungsstellen gemeldet worden
- Die Akteure rufen die Unternehmer auf, sich nun wieder verstärkt einzubringen
Leider habe er, anders als in früheren Jahren, „keine rosigen Nachrichten“ im Gepäck, sagte Jürgen Koch, Chef der hiesigen Agentur für Arbeit, am Dienstag. Im Gegenteil: Mülheim habe klar zu wenig Ausbildungsplätze. Die Zahl der Lehrstellen sei zurückgegangen, die der Bewerber deutlich gestiegen. Für jeden Interessenten gab es rein rechnerisch nur noch 0,79 Stellen; damit liege man mittlerweile sogar unter den Landesdurchschnitt von 0,81.
Im Ausbildungsjahr 2016/17 notierte die Arbeitsagentur 1304 Frauen und Männer, die auf eine Lehrstelle hofften. Das entsprach einem Plus von 185 jungen Menschen – oder 16,5 Prozent – gegenüber dem Vorjahr. 2015/16 hatten sich 1119 Interessenten gemeldet. Diesen Zahlen standen 1026 Ausbildungsstellen gegenüber. Der Trend war rückläufig: um 76 Stellen oder 6,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, als 1102 Angebote eingegangen waren.
Ein Drittel ihres 15-köpfigen Teams sind Azubis
Weiterhin engagiert ist Dr. Christiane Schneider, Fachärztin für Kieferorthopädie in Broich. Ein Drittel ihres 15-köpfigen Teams sind Azubis; „damit liegt sie weit über der üblichen Quote“, lobte Koch. Mehrere Lehrlinge wurden ihr über die Berufsbildungseinrichtung BBWE vermittelt. Da sie das Thema vorbildlich angehe, hatten Arbeitsagentur, Sozialagentur, Industrie- und Handelskammer (IHK) und Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) zum Bilanzgespräch in ihre Praxis eingeladen. Die Ärztin will am Ball bleiben, doch auch sie räumte ein: „Die Suche nach geeigneten Bewerbern ist schwieriger geworden.“
Da passte die Info, dass – anders als man annehmen könnte – auch die Zahl unbesetzt gebliebener Ausbildungsstellen gewachsen ist. Für 72 der 1026 Angebote fand sich niemand Geeignetes. Im Vorjahr waren 57 Stellen verwaist geblieben. Das liege oft weniger an fehlendem Schulniveau der Bewerber, so Koch, als an Unpünktlichkeit oder „dem ständigen Gucken aufs Handy“.
80 Bewerber gingen leer aus, ein Anteil von 6,1 Prozent. „Um diese Menschen müssen wir uns verstärkt kümmern, sie haben das Potenzial, die Langzeitarbeitslosen von morgen zu werden.“ Als „brauchbaren Anfang“ bezeichnete Koch die Zahl der vermittelten jungen Flüchtlinge: Von 70 Menschen, die ausbildungsreif waren, habe man 39 eine Lehrstelle verschafft und 27 unter anderem an Schulen vermittelt.
Akteure sollen besser kooperieren
Seine Bilanz? „Ich mache mir ernsthaft Sorgen um die Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt.“ Koch appelliert inständig an die Betriebe, wieder mehr auszubilden. In Mülheim fokussiere man sich zu stark auf die Hochschule Ruhr West. „Wir brauchen eine Balance. Die duale Ausbildung bleibt das Sprungbrett für eine vernünftige Berufsbiografie.“ In den kommenden Monaten werde man eifrig Klinken putzen, versuchen, vermehrt Stellen einzuwerben. Zudem hoffe er darauf, dass die beteiligten Akteure in Zukunft enger, effektiver zusammenarbeiten. „An den Schülern zerren noch zu viele Personen.“ Bei derart vielen Beratern verliere „der Kunde“ leicht die Orientierung, sei ein roter Faden nicht gleich erkennbar.
Ins Klagelied mit einstimmte Franz Roggemann von der IHK zu Essen. Er berichtete, dass 2017 im gewerblichen Sektor nur 221 Auszubildendenverträge unterzeichnet worden seien, gegenüber 239 in 2016. Die Zahlen im kaufmännischen Bereich seien von 457 auf 421 zurückgegangen. „Eine in hohem Maße unerfreuliche Entwicklung.“ Im Frühjahr habe man deshalb 1500 Betriebe besucht und Gespräche zum Thema geführt.
Vergünstigtes Azubi-Ticket für Nahverkehr gefordert
Jan Mrosek, DGB-Jugendbildungsreferent, sprach sich ebenfalls vehement für mehr Ausbildung aus, forderte zudem ein vergünstigtes Azubi-Ticket für den Nahverkehr, um Mobilitätsprobleme zu minimieren. Klaus Konietzka, Leiter der Sozialagentur, hob hervor, wie schwierig es gerade für Kinder aus Hartz IV-Haushalten sei, ins Berufsleben zu starten – 186 der 1304 Bewerbern stammen dort her. Ihnen zum erfolgreichen Start zu verhelfen, könne nur „im Zusammenwirken aller“ gelingen.
>> FREIE LEHRSTELLEN BALD MELDEN
Um rechtzeitig geeignete Bewerber für den Betrieb zu finden, lohne es sich, freie Ausbildungsstellen für 2018/19 recht bald zu melden, heißt es. Unternehmen, die unterstützt werden möchten, wählen 0800 455-5520.
Jugendliche, die Hilfe brauchen, können sich unter 0800 455-5500 an die Agentur wenden. Informationen gibt’s zudem unter arbeitsagentur.de .