40 Prozent der Verkehrsschilder sind laut ADAC generell verzichtbar. In einem Modellversuch erproben Mülheimer für zwei Monate, wie es ist, sich ohne einen Schilderwald zurecht zu finden. Bei der Initiative Simply City sind alle Bürger dazu aufgerufen, sich am künftigen Konzept zu beteiligen.

Auf den ersten Blick könnte man denken, es hätte sich jemand einen Spaß erlaubt und einen gelben Wertstoffsack über ein Verkehrsschild gestülpt. Aber es sind doch viele Verkehrsschilder, die seit einigen Tagen verhüllt wurden. Viel zu viele. Die über die Verkehrszeichen gestülpten Säcke setzten diese nicht nur außer Funktion, sondern sind auch Werbeträger für ein Modellprojekt, das Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld an der Seite von Verkehrsminister Lutz Lienenkämper und ADAC-Präsident Peter Meyer gestern am Heißener Markt eröffneten: Simply City. Der Verkehr soll für alle Verkehrsteilnehmer einfacher und überschaubarer werden. Der erste Schritt ist die Lichtung des Schilderwaldes. "Weniger ist mehr" steht auf dem Sack und die Internet-Adresse (www.muelheim-ruhr.simply-city.de), unter der alle Interessierten Informationen über das Projekt erhalten und in einem Diskussionsforum das Projekt mit eigenen Ideen bereichern können.

Eine stattliche Quote

40 Prozent der Verkehrsschilder seien generell verzichtbar, das sagt der ADAC seit Jahren etwas vollmundig. "Mehr als drei bis vier Schilder kann ein Autofahrer in einer Situation ohnehin nicht wahrnehmen", weiß ADAC-Präsident Peter Meyer. In den drei Projektregionen, Heißen-Mitte, Mellinghofer Straße und Leineweberstraße wurden in den vergangenen Tagen 350 Schilder verhangen, das sei mehr als die Hälfte in diesem Areal, sagt Roland Janßen vom Amt für Verkehrswesen Eine stattliche Quote.

Eine Kommission, in der unter anderem auch die Polizei saß, hat die entsprechenden Schilder ausgewählt. "Die Verkehrssicherheit wird durch diesen Wegfall nicht beeinträchtigt", versichert Franz P. Linder vom Kölner Planungsbüro Südstadt, das den Prozess begleitet. Das zeigt schon das Demonstrationsobjekt für das obligatorische Minister-Foto. Das Schild weist auf den Fahrradweg hin, obwohl dieser durch eine andere Pflasterung inclusive Piktogramm deutlich erkennbar ist. Und auf der Rückseite wird ausdrücklich auf das offensichtliche Ende dieses Weges hingewiesen. "Nachdem die Schilder verdeckt wurden kann man sich gar nicht mehr vorstellen, auf was sie überhaupt hingewiesen haben. Das macht schon deutlich, wie überflüssig sie sind", stellt ein Beobachter fest.

Auf Doppelbeschilderung wird verzichtet

Generell verzichtet wurde auf Doppelbeschilderung wie etwa das Gesperrt-Schild an beiden Straßenseiten; auf offensichtliche Hinweise wie das Sackgassenschild dort, wo das Ende der Straße schon leicht erkennbar ist; auf Schilder, die noch einmal ausdrücklich auf die geltenden Verkehrsregeln hinweisen, aber auch auf Werbetafeln. In Heißen wurde zudem eine Parkzone eingerichtet, die viele Parkverbotsschilder entbehrlich machte.

Die Hinweisschilder, die Bestand haben sollen, müssen schon eine Relevanz haben, findet Linder. Objektiv kann das nicht immer sein. Deshalb ist die Beteiligung der Bürger über Internet oder bei den Workshops so wichtig. Zumal in einer Stadt mit einem hohen Anteil von Senioren, die im Alter mobil bleiben wollen, ist das, wie Mühlenfeld weiß, eine Gratwanderung. Für jeden gibt es "gute und böse Schilder", wie Lienenkämper es nennt, eben wichtige und überflüssige. Wie die Verkehrsteilnehmer mit den neuen Situationen zurecht kommen, will die Stadt beobachten. Zudem wird es von der Uni Wuppertal wissenschaftlich begleitet. Für Meyer ist die beste Bewährungsprobe, "der mündige Autofahrer". Er werde sich schon beschweren, wenn etwas nicht ausreiche, ist er zuversichtlich.

Nach zwei Monaten soll Bilanz gezogen werden. Doch für Lindner ist das erst der Anfang: Im zweijährigen Projektzeitraum soll alles auf den Prüfstand, was das Vorankommen sämtlicher Verkehrsteilnehmer hemmt oder kompliziert macht. Dabei wird es auch um bauliche Veränderungen oder Ampeln gehen. Hartmut Minjoth vom ADAC denkt dabei ziemlich radikal. "Bevor man darüber diskutiert, wie man die Grünphasen verteilt, sollt man überlegen, ob man die Ampel überhaupt benötigt". In Köln etwa seien schon zahlreiche Signalanlagen abmontiert worden.