Die Stadt will unsinnige Schilder verschwinden lassen. Die WAZ machte vorab eine Probefahrt mit einem Fahrlehrer, der Stellen zeigte, an denen sich die Regelungswut breit gemacht hat.
Die Stadt packt die Axt raus – und will damit in den Mülheimer Schilderwald. Der hat üppiges Wachstum erlebt und übermannt manch einen Verkehrsteilnehmer, der die Übersicht verliert. Der Startschuss für das Landesprojekt „Simply City” fällt am Mittwoch. Vorab nahm die WAZ eine Fahrstunde bei Fahrlehrer Georg Meurer aus Styrum. Er zeigte Stellen, an denen der Schilderwald gelichtet werden könnte.
Für Meurer ist klar: In der Stadt gibt es zu viele Schilder, Teilnehmer im Straßenverkehr sind überfordert, manche Gefahr-, Vorschrift- oder Richtzeichen machen keinen Sinn und sie schreiben etwas vor, was an dieser Stelle ohnehin gilt. Halt an der Sandstraße. Eine blaue Bildtafel erlaubt das Parken auf dem Bürgersteig, und zwar vor und hinter dem Schild. Nur: Zwei Autolängen hinter diesem Schild steht ein weiteres, das für die nächsten Meter absolutes Halteverbot erteilt. Dort befindet sich eine Betriebszufahrt. „Wer sich vor die Einfahrt stellt”, analysiert Meurer, „den interessieren die Schilder ohnehin nicht.” Sein Urteil: Das Halteverbotsschild kann weg!
Weiter zum Kreisverkehr Eppinghofer, Heißener, Sandstraße. „Achtung, Vorfahrt gewähren!” heißt es dort für alle, die in den Kreisverkehr einfädeln wollen. Unsinnig, sagt Meurer. Ein einfaches Rechts vor Links würde mehr Verkehrsfluss und Licht im Schilderwald bringen. Meurer stellt die provokante Frage: „Brauchen wir überhaupt Schilder?” Im niedersächsischen Bohmte funktioniert es ohne. Aber in Mülheim?
Die Stadt will nun mit der Teilnahme am NRW-Projekt „Simply City” den Anfang machen. Am Mittwoch wird NRW-Verkehrsminister Lutz Lienenkämper mit OB Dagmar Mühlenfeld und ADAC-Präsident Peter Meyer das erste Verkehrszeichen, das künftig entfallen soll, in Plastik hüllen. Weiteren Schildern im Modellgebiet Heißen, Mellinghofer und Leineweberstraße wird es in der einmonatigen Testphase ebenso ergehen.
Licht im Schilderwald findet Fahrlehrer Meurer gut. Doch er hält anderes für wichtiger: Die Verkehrsführung in Mülheim sei „eine Katastrophe”, Ampelschaltungen „jenseits von Gut und Böse”.
Meurer im Schilderwald - einige Beispiele
Bismarck-/Kampstraße (Stadtmitte): Für Georg Meurer müssen beide Schilder nicht sein, die Kurve sei lange vorher im Blick. Mindestens aber die Rutschgefahr sollte einem Fahrzeugführer – bei entsprechender Witterung – auf dieser abschüssigen Straße bewusst sein. Solche Gefahrenzeichen finden sich hier gleich in mehrfacher Ausführung.
Jahn-/Ecke Stiftstraße (Stadtmitte): Mehr als 20 Meter lang ist die Verbindung zwischen Stift- und Jahnstraße nicht, doch die Durchfahrt ist nur in eine Richtung möglich. Laut Regelung müsste der Verkehr von der Stift- zunächst auf die benachbarte Bismarckstraße, um die Haltestelle herum und rechts in die Jahnstraße. Das unsinnige Schild ignoriere jeder Dritte, so Meurer, manch ein Fahrschüler habe hier seine Prüfung versemmelt – eine Gemeinheit, findet Meurer.
Oberhausener Straße (B 223), Bahnbrücke, Fahrtrichtung Süden: Gut, dass dies nur ein Bildausschnitt ist. Unter den Wegweisern findet sich noch ein Hinweis für die Hotelroute, auch Verkehrsschilder und der Straßenbahnverkehr sind noch im Auge zu halten. Der Fall ist für Fahrlehrer Georg Meurer klar: „Reizüberflutung”. So viele Hinweise könne ein Verkehrsteilnehmer in der Kürze der Zeit nicht auf einmal wahrnehmen. Urteil: Des Guten zu viel!
Hagdorn (Altstadt): Wer sich in das Wirrwarr der Einbahnstraßen hineinwagt, der schüttelt spätestens den Kopf, wenn er den Hagdorn hinunterfährt. Geradeaus versperrt das Schild „Durchfahrt verboten” die Tour, man muss also ohnehin rechts in die Adolfstraße. Warum dann noch der weiße Pfeil auf blauem Grund?
Oberhausener Straße (Styrum): Das Schild verbietet das Überholmanöver. Nur: Schon die durchgezogene Markierung in der Straßenmitte lässt kein Überholen zu. Nur wenige Meter weiter: Halteverbotsschilder. Aber man dürfte hier ohnehin nicht halten, es gilt: Zwischen parkendem Auto und durchgezogener Linie müssen drei Meter Platz sein.
Augustastraße (Styrum): „Achtung, Kinder!” – ein Gefahrzeichen als Hinweis auf die Kinder der nahen Gemeinschaftsgrundschule. Trotzdem hält Fahrlehrer Meurer das Verkehrszeichen für überflüssig: „Ich muss hier sowieso langsam fahren. Und da, wo ich 30 fahren muss, muss ich auch mit Kindern rechnen.”