Mülheim. . Heute repräsentiert Superintendent Gerald Hillebrand 46 531 Mülheimer Protestanten. Vor zehn Jahren gab es 10 000 evangelische Christen mehr.

  • Auch die Evangelische Stadtkirche schrumpft: Im Jahr 2016 gab es 372 Austritte
  • Den Kirchenaustritten standen im vergangenen Jahr nur 72 Neuaufnahmen gegenüber
  • Superintendent Gerald Hillebrand ist überzeugt, dass die Christen weiter gebraucht werden

Die katholische Kirche schrumpft. (wie berichtet). Die Evangelische Kirche (siehe Infokasten) tut es auch. Höchste Zeit, sich Gedanken über die Zukunft der christlichen Kirchen zu machen. Ein Gespräch mit dem neuen Superintendenten des Evangelischen Kirchenkreises, Pfarrer Gerald Hillebrand.

Haben die schrumpfenden Kirchen noch Zukunft oder sind sie ein Auslaufmodell?

Sie haben Zukunft, aber sie werden kleiner und ihr Gemeindeleben wird sich verändern. Wir werden weniger Gottesdienstorte haben und die Gemeinden werden unterschiedliche Schwerpunkte bilden, nicht mehr alle das ganze Programm der Gemeindearbeit leisten. Da wird sich dann eine Gemeinde auf die Kirchenmusik, eine weitere auf Jugendgottesdienste und die nächste vielleicht auf gesellschaftspolitische Fragen konzentrieren, um so zu einem Ort zu werden, der interessierte Menschen anziehen kann.

Bedeutet Konzentration nicht, dass gerade ältere immobile Menschen abgehängt werden?

Da müssen wir mit ehrenamtlichen Transport- und Besuchsdiensten gegensteuern. Doch diese ehrenamtlichen Mitarbeiter muss man erst einmal finden. Und so werden wir am Ende sicher nicht mehr jeden erreichen, so traurig das ist. Wir werden in jedem Stadtteil nur noch mit einer Kirche präsent sein können.

Haben auch die Hauptamtlichen ihren Anteil daran, dass heute so viele Menschen ihre Kirche verlassen?

Das steht außer Frage. Kirche war in den vergangenen Jahrzehnten fast ausschließlich eine Sache der bürgerlichen Mitte. Trotz Bemühungen haben wir es nicht geschafft, auch andere Bevölkerungsgruppen an uns zu binden und ihnen so deutlich zu machen, was wir ihnen zu sagen und zu geben haben. Wir müssen auch erkennen, dass man nicht nur am Sonntagmorgen in der Kirche Gottesdienst feiern und Gemeinde leben kann. Das geht auch in Gemeindegruppen, die sich unter einem gemeinsamen Interesse treffen und entdecken, wie schön es sein kann, auch für andere da zu sein, ohne, dass sie am Sonntag in Scharen in den Gottesdienst kommen.

Wie wird das kirchliche Ehrenamt der Zukunft aussehen?

Das Luther-Musical hat gezeigt, dass sich auch heute Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten für kirchliche Projekte begeistern lassen. Aber Menschen werden sich in Zukunft eben nicht mehr über Jahrzehnte in einer Gruppe oder in einem bestimmten Gremium einbringen.

Warum braucht unsere Gesellschaft auch künftig die christlichen Kirchen?

Weil sie wichtige Werte, wie soziale Verantwortung, gesellschaftlichen Gestaltungswillen und Nächstenliebe vertreten und Menschen eine Stimme geben, die selbst zu schwach sind, um sich einen Platz in der Gesellschaft zu erobern. Diese Aufgabe bleibt.

Wie kann und muss Kirche auch in Zukunft soziale Verantwortung übernehmen?

Das Diakonische Werk und das Diakoniewerk Arbeit und Kultur sind gut aufgestellt, wenn es darum geht, Menschen in unterschiedlichen Notlagen zu helfen oder ihnen eine Stimme und eine Beschäftigung zu geben, die sie auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht bekommen, weil sie die Voraussetzungen dafür nicht mitbringen. Wir müssen als Kirchen und als Gesellschaft in diese Aufgabe investieren und die Menschen davon überzeugen, dass Wirtschaften ein Teil des Lebens ist, aber nicht alles im Leben unter wirtschaftlichem Aspekt betrachtet werden kann.

Wird die Zukunft der Kirchen ökumenisch sein?

Eben weil Kirche heute nicht mehr die Stimme, sondern nur noch eine Stimme unter vielen ist, müssen sich die katholische und die evangelische Kirche gemeinsam äußern, wenn es um soziale und ethische Fragen geht, damit die Stimme der Christen weiter gehört wird.

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Vor Ort gibt es zurzeit 46 531 evangelische Gemeindemitglieder. 2006 waren es noch 56 598.

372 Kirchenaustritten standen im Jahr 2016 insgesamt 76 Neuaufnahmen in die Evangelische Kirche gegenüber.

Der durchschnittliche Anteil der Gottesdienstbesucher an Sonntagen lag bei 1,6 Prozent.