Mülheim. . Verdeckte Armut ist bei Senioren ein weit verbreitetes Phänomen. Viele offenbaren ihre Nöte nur dem Seelsorger. In Styrum ist die Quote hoch.
- Verdeckte Armut ist bei Senioren ein weit verbreitetes Phänomen, viele vertrauen sich nur Seelsorgern an
- Pfarrer Michael Manz hat in Styrum ein offenes Ohr und sammelt Spenden für Bedürftige
- Oft sieht er erst bei Hausbesuchen, in welch bitterarmen Verhältnissen die Rentner wirklich leben
In Styrum, mitten in dem Dreieck zwischen Bahngleisen, A 40 und der Oberhausener Straße, die den Stadtteil von Nord nach Süd durchquert, steht die Immanuelkirche. Ein neugotischer Backsteinbau an der Kaiser-Wilhelm-Straße. Errichtet mit dem Baustoff, der den Arbeitersiedlungen im Ruhrgebiet einst ihr rotes Gesicht gab. Immanuel reckt den quadratischen Glockenturm empor in einen der ärmeren Stadtteile im Norden Mülheims.
Immanuel ist Hebräisch und bedeutet „Gott ist mit uns“. Für manche, die hierherkommen, über den kleinen Parkplatz links neben der Kirche gehen und an der Tür des Pfarrbüros schellen, spendet das Hoffnung. Es sind Menschen aller Altersklassen, die um Hilfe bitten – immer mehr jedoch sind alt.
Immer öfter klingelt es an der Tür
„Herr Pastor, können Sie mir mal mit 15 Euro aushelfen?“ Der ältere Herr, der etwa zweimal im Monat bei Michael Manz schellt, stellt mit verschämtem Blick immer dieselbe Frage. „Um den 10., 12. eines Monats herum, wenn das wenige Geld langsam aufgebraucht ist, dann merkt man, dass es immer häufiger an der Tür klingelt“, sagt Manz.
Vor drei Jahren hat Pastor Manz die Pfarrei übernommen. Selbstverteidigungskurse solle er belegen und am besten noch Türkisch lernen, hat er damals zu hören bekommen, als er aus Heißen wegging. Styrum, sagt der 54-Jährige, assoziieren leider viele mit sozialen Problemen. Die Mieten in den oft schon länger nicht mehr restaurierten Wohnungen hier sind meist billig. Der Pfarrer zuckt mit den Schultern. Er kennt die Vorurteile, weiß auch um die Nöte. „Aber es gibt in keinem anderen Stadtteil ein so gut funktionierendes Netzwerk – angefangen von Nachbarschaftsvereinen, über Altentagesstätten bis hin zum Bürgerbus. Wie hier zusammengearbeitet wird, wie die Leute zusammenhalten und sich für andere engagieren, das ist toll.“
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Manz, selbst Sohn einer Arbeiterfamilie, spricht lieber Ruhrdeutsch als blumige Worte und packt mit an. Direkt hinter der Tür des Pfarrbüros hat der Pfarrer einen Schrank für Lebensmittel aufgestellt. Nudeln, Reis, Knäckebrot, Konserven stapeln sich dort in Pappkartons aus dem Supermarkt. Zwei Gemeindemitglieder spenden regelmäßig. Die Kirche stellt zudem kleinere Beiträge für diakonische Zwecke zur Verfügung. So kann Michael Manz bei Notfällen unbürokratisch helfen.
Viele haben Hemmungen, zum Amt zu gehen
Wer im Alter in die Armut gerät, kämpft mit Schamgefühlen. Der Weg zum Pfarrer ist für diese Generation oft leichter als der Weg zum Amt. „Wir sind verschwiegen. Darauf können die Menschen sich verlassen.“ Doch nicht alle trauen sich, Probleme offen anzusprechen. „Ich schaffe das noch allein. Ich habe doch mein Leben lang alles irgendwie bewältigt.“ Solche Sätze hört Michael Manz häufig. Gerade von älteren Witwen. „Die Frauen haben ganz große Hemmungen, sich an das Sozialamt oder andere Stellen zu wenden“, weiß der Pfarrer. Auch er kann manchmal nur in Gesprächen erahnen, wie schlimm es wirklich um einzelne Gemeindemitglieder bestellt ist. „Meine Rente ist klein, aber ich komme so über die Runden.“ – Wie oft hat Michael Manz das schon gehört.
Nach außen wird der Schein gewahrt
Der 54-Jährige ist einer der wenigen, der weiß, wie verdeckte Armut aussieht. „Nach außen wird immer der Schein gewahrt“, sagt er. Oft kann er erst bei Hausbesuchen erahnen, wie wenig Geld für Kleidung, Einrichtung und Haushaltsgeräte wirklich da ist. Löchrige Tischdecken, milchige Gläser, uralte durchgelegene Matratzen sieht er häufig. „Einmal habe ich einer alten Dame eine kleine Geldspende vorbeigebracht. Sie war so dankbar und meinte: Jetzt kann ich mir endlich Winterpantoffeln kaufen.“ Artikel, die kaum zehn Euro kosten, werden zum Luxus. „Man denkt: Sowas kann doch eigentlich gar nicht sein.“
Michael Manz schüttelt nachdenklich den Kopf. 24 Jahre lang ist er schon Pfarrer. Von Anfang an war er mit dem Thema Armut konfrontiert. „Es ist ja eine der ursprünglichen Aufgaben der Kirche: die Diakonie“, sagt er. Diese Aufgabe nimmt er ernst. Doch in den letzten Jahren beobachtet er, dass das Problem immer weiter zunimmt. Wenn nötig, verhandelt der Pfarrer sogar mit Stromanbietern, vereinbart Ratenzahlungen. Bei schwerwiegenderen Problemen schaltet er eine Gemeindeschwester ein, die auch bei Amtsgängen unterstützt.
Ganz oft liefert Michael Manz Lebensmitteltüten und kleine Spenden persönlich zu den älteren Menschen, die nicht mehr mobil genug sind. „Viele haben wirklich Tränen in den Augen. Wie oft höre ich: Ach, dass Sie an mich gedacht haben! Oder: Ach, dass wir nicht vergessen sind.“
>> Info: Wie Sie helfen können
Über Unterstützung aus der Bevölkerung ist die Immanuelkirche dankbar. Geld- und Lebensmittelspenden nimmt Pastor Michael Manz jederzeit gern entgegen. Die Lebensmittel sollten nicht leicht verderblich und möglichst lange noch haltbar sein. In Frage kommen etwa Grundnahrungsmittel wie Nudeln, Reis und Konserven. Wer spenden möchte, wird um einen kurzen Anruf gebeten unter: 0208 / 40 52 88.