Mülheim. . Nicht alles, was rekonstruktive Chirurgen leisten müssen, steht in Lehrbüchern. Schwerste Verletzungen erfordern auch viel Kreativität.
- Rund 2000 Patienten behandelt im Jahr die Klinik für Plastische Chirurgie
- Unfälle, Tumorerkrankungen und Infektionen führen oft zu schweren Schäden
- Mikrochirurgie eröffnet Ärzten neue Möglichkeiten und Patienten Perspektiven
Medizin ist viel Handwerk, aber auch Kunst, die zuweilen ein hohes Maß an Kreativität erfordert. Das erlebten jetzt die Teilnehmer beim WAZ-Medizinforum am Samstag im Evangelischen Krankenhaus, wo es um die Möglichkeiten und Grenzen der Rekonstruktiven und Plastischen Chirurgie ging. Es ging dabei um die Therapie schwerster Verletzungen und den Fortschritt, den die Mikrochirurgie in den vergangenen 20 Jahren gemacht hat.
Die Behandlung von Unfallopfern gehört zum Alltag der noch recht jungen Spezialklinik am Ev. Krankenhaus. Ein Fallbeispiel: Motorradfahrer, 30 Jahre alt. Eine Hand ist nach dem Unglück völlig zerstört, auf der anderen Seite ist die Hand noch da, ein Großteil des Armes durch den Unfall aber zerrissen. Ebenso ist ein Bein zwischen Oberschenkel und Fuß kaum noch als solches erkenntlich. Was tun? Was retten? Wie das Leben danach noch lebenswert machen? „Vor 20 Jahren“, sagt Dr. Christian Soimaru, Chefarzt der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Medizin, „hätten wir dem Mann einen Arm, eine Hand auf der anderen Seite und ein Bein amputieren müssen. Er wäre ein Pflegefall mit 30 Jahren gewesen.“ Der Fortschritt verhindert dies. Die Mediziner setzten die erhaltene Hand von der einen Seite an den anderen Arm, aus dem Fuß formten sie an den Oberschenkel eine Stumpf, so dass eine Art Knie entstand, an das eine Prothese gesetzt werden konnte. Ein Arm wurde amputiert. Das Ergebnis: Der Mann kann heute mit der Prothese laufen, mit einer Hand greifen. „Jede eigene Hand ist weitaus besser als jede Hightech-Prothese.“
Erfahrenes Ärzteteam ist erforderlich
Fortschritte wie diese führen Soimaru und sein Oberarzt Dr. Mark-Martin Hinz vor allem auf die heutigen Möglichkeiten der Mikrochirurgie zurück, die es den Ärzten möglich macht, selbst feinste Nerven zu versetzen und zu flicken. Die Mediziner erwarten auf dem Gebiet sogar noch weitere Verbesserungen, so dass sie in kleinere Dimensionen bei der Operation vorstoßen können.
„Es geht uns natürlich um Ästhetik“, so der Chefarzt. „immer aber auch darum, dass die Funktion erhalten bleibt oder wiederhergestellt wird, Beweglichkeit und Gefühle nachher vorhanden sind. Wir geben dafür unser Bestes.“
Um das Beste zu erreichen, ist ein sehr erfahrenes Ärzteteam erforderlich, eine gute OP-Pflege, eine geduldige Anästhesie – aber auch eine gehörige Portion Sitzfleisch. Die Wiederherstellung einer Hand etwa, bei der durch eine Kreissäge vier Finger abgetrennt wurden, nimmt durchaus 16 Stunden Operation in Anspruch.
Generell gilt: Der Mensch ist sein bestes Ersatzteillager. An vielen Stellen des Körpers entnehmen die Ärzte Gewebe, Haut, Sehnen, manchmal auch ganze Körperteile – die zweite Zehe kann einen Daumen ersetzen – um Schäden zu beheben. Der Vorteil: Das eigene Körpergut wird nicht abgestoßen.
Komplizierte Eingriffe
Verkehr, Kreissägen, Häcksler, Pressen – im Alltag lauern viele Gefahren. Aber es sind nicht nur Unfälle, die diese Klinik behandelt. Krebs und Infektionen können zu erheblichen Verunstaltungen führen. Oberarzt Dr. Mark-Martin Hinz zeigt eine Vielzahl von Beispielen, wie etwa die weibliche Brust nach einer Tumorerkrankung oder bei Missbildungen neu aufgebaut und geformt werden konnte. Auch hier geht es um weit mehr als um Ästhetik, so Hinz. Frauen litten psychisch und körperlich oft massiv an Deformationen, Fehlbildungen. Auch hier, so die Mediziner, seien die Eingriffe aufwendig und kompliziert, wenn es zum guten Ergebnis führen soll. „Mal eben eine Prothese einsetzen, funktioniert nicht oder führt zu erschreckenden Ergebnissen.“
Längst nicht jedes Krankenhaus in Deutschland verfügt über eine Plastische Chirurgie. Am Evangelischen Krankenhaus wurde sie vor fünf Jahren eingerichtet. Inzwischen werden dort jährlich rund 600 Patienten ambulant und rund 1300 stationär therapiert.