Mülheim. . Die Telefonseelsorge in Deutschland wird 60 Jahre alt. Der Leiter der Mülheimer Seelsorge, Olaf Meier, erklärt, was die Ratsuchenden beschäftigt.
Sie nehmen sich Zeit, hören zu und sind für Menschen in Not oft die erste Anlaufstelle: Die rund 260 Mitarbeiter der Telefonseelsorge Duisburg Mülheim Oberhausen leisten ehrenamtlich 24-Stunden-Dienste. Die deutschlandweite Telefon-Seelsorge wird in diesem Jahr 60 Jahre alt, in den drei Ruhrgebietsstädten gibt es den Dienst seit 1974/75. Dessen Leiter Olaf Meier erklärt, warum der Dienst am Hörer auch heute noch so wichtig ist.
Was beschäftigt die Menschen, die sich an Sie wenden?
Olaf Meier: Häufig geht es um Sucht, Beziehungen, Krankheitsdiagnosen, akute Trauer oder Trennung. Außerdem stellen wir verstärkt fest, dass Leute anrufen, die psychiatrie- und psychotherapieerfahren sind, die also seit längerer Zeit seelisch in Krisenzeiten leben. Bei etwa 0,7 Prozent der 22 000 Anrufe im Jahr kommt es vor, dass jemand sagt ‘Ich will nicht mehr leben’ – das ist umgerechnet etwa einmal am Tag.
Wir sind auch Gesprächspartner für Menschen, die überhaupt keinen haben, mit dem sie in ihrem Alltag reden können. Das Thema Einsamkeit verbirgt sich hinter vielen anderen Themen, die scheinbar nicht so dramatisch sind, aber wo die Menschen keine andere Anlaufstelle haben außer uns. Verstärkt sind es einsame Männer, die vor allem sonntagnachmittags in ein Loch fallen und uns dann anrufen.
Gibt es Probleme, die besonders Mülheimer plagen?
Meier: Eigentlich nicht, denn wir können kaum erfassen, wer aus welcher Stadt anruft – das ist alles anonym. Wenn spezifische Ereignisse wie Katastrophen in der Nähe passieren und diese Stadtthema sind, spricht man darüber auch beim Bäcker oder Metzger. Zu uns kommen die Menschen vor allem mit Themen, über die sie nicht mit anderen reden können – persönliche Krisen, Themen, die mit Scham besetzt sind. Zum Beispiel wenn eine Mutter Schulden hat und sich schämt, dass sie die Klassenfahrt ihres Kindes nicht aus eigener Tasche zahlen kann. Dann erzählt sie uns, wie sie sich dabei fühlt.
Ist es in Zeiten von Mails und Chats überhaupt noch zeitgemäß, zu telefonieren?
Meier: Ja. Immerhin haben wir im vergangenen Jahr in allen drei Städten 8.000 Anrufe mehr als im Vorjahr gehabt. Gerade in Zeiten der Digitalisierung und der medialen Vernetzung ist Hilfe, die schnell und ohne große Hürden Menschen zur Verfügung steht, wichtig. Um auch jüngere Menschen zu erreichen, haben wir zudem die Beratung über E-Mail eingerichtet. Diese wird auch gut angenommen, vor allem von jungen Männern, die sich sonst nicht trauen, persönlich in Kontakt zu treten. Etwa 25 Prozent der Krisenanfragen kommen über das Internet bei uns an. Der Großteil unserer Anrufer ist zwischen 30 und 60 Jahren.
Was müssen ehrenamtliche Mitarbeiter mitbringen?
Meier: Belastbarkeit, Lebenserfahrung und Empathie, die man gut über Worte ausdrücken kann. Wir können den Anrufer ja nicht umarmen, sondern müssen unsere Anteilnahme über die Sprache ausdrücken - Gefühle in Worte fassen. Viele von ihnen haben bereits selbst Krisen in ihrem Leben überstanden und können daher die Erfahrung gut weitergeben. Allerdings sollten sie sich nicht selbst in einer akuten Krisensituation befinden.
Haben Sie Probleme, Ehrenamtliche zu akquirieren?
Meier: Nein, wir sind in der glücklichen Position, ausreichend Mitarbeiter zu finden und sind in Mülheim gut vernetzt. Zudem machen wir an Infoständen auf verschiedenen Veranstaltungen in Mülheim regelmäßig auf unsere Arbeit aufmerksam. Ein großer Teil der Ehrenamtlichen, etwa 60 Prozent, kommt aus Duisburg, 25 Prozent aus Mülheim und 15 Prozent aus Oberhausen. Rund 80 Prozent von ihnen sind Frauen.
Rund um die Uhr erreichbar
Olaf Meier ist Theologe und Psychologe und leitet seit 1996 die ökumenische Telefonseelsorge Duisburg Mülheim Oberhausen. Der Krisendienst ist rund um die Uhr erreichbar, um Menschen in Not kurzfristig zu entlasten, zu stärken und in weitere Hilfen zu vermitteln.
Die Mitarbeiter sind kostenlos unter den Rufnummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 erreichbar. Mehr Infos auch im Internet: www.telefonseelsorge.de