Mülheim. . Vieles neu auf dem traditionellen Rummel der Saarner Kirmes – erstmalig in der Mülheimer Innenstadt und mit historischen Kirmesorgeln.

Erst ist da die übliche Pop- und Schlagermusik, die aus den Boxen neben der bunt belichteten Autoscooter-Anlage dröhnt – aber es braucht nur wenige Schritte Richtung Müga für eine Zeitreise zu fideler Marschmusik und barocken Verzierungen: 14 Kirmesorgeln, fast alle über 100 Jahre alt, waren am Wochenende auf der Saarner Kirmes zu sehen. Schausteller-Chef Albert Ritter nennt die Schau den „neuen Entschleunigungsbereich“ der Kirmes. Aber es ist noch viel mehr: „Ein Weltrekord!“, sagt Ritter. „So viele Kirmesorgeln wurden noch nie auf offener Fläche ausgestellt“.

Tatsächlich ist Mülheim ein passender Ort für eine Veranstaltung wie das erste Internationale Wellershaus Kirmesorgeltreffen. Zwar wurden die meisten deutschen Kirmesorgeln im Schwarzwald hergestellt, aber die Familie Wellerhaus fertigte in Mülheim, auf der heutigen Düsseldorfer Straße 52 in Saarn, von 1860 bis in die 1950er Jahre international beliebte Jahrmarktinstrumente - mit „unverkennbarer Bautechnik“.

Wellerhaus Orgeln: eine Spezialität aus Saarn

Das sagt zumindest Hobby-Historiker Henning Ballmann. Ritter nennt ihn den „Papst der Kirmesorgel-Szene“, in seiner Freizeit hat Ballmann viel über den Mülheimer Familienbetrieb geforscht. „Die Wellerhaus Orgeln erkennt man an der üppigen, massiv ausgearbeiteten Fassade oder den weiblichen Figuren mit teils großer Körbchengröße“, weiß Ballmann. „Die Moralgrenzen konnte man bei der Orgelgestaltung schon damals strapazieren, aber in einigen Gemeinden mussten die Frauenfiguren sogar verhüllt werden“, ergänzt Ritter.

Auch Kirmes-Chef Albert Ritter brachte seine von den Gebrüdern Wellershaus erbaute Kirchenorgel mit.
Auch Kirmes-Chef Albert Ritter brachte seine von den Gebrüdern Wellershaus erbaute Kirchenorgel mit. © Funke Foto Services

Seine Begeisterung für die Orgeln entwickelte Ballmann mit sechs Jahren. Da bekam er eine Wellerhaus-Orgel in Holland – wo die ­Orgelszene sehr groß ist – zu ­Gesicht und war „fasziniert“. Mit dem niederländischen Aussteller hielt er Kontakt und kaufte ihm die Orgel mit 24 Jahren „dank Ratenzahlung bei Oma“ ab. Heute sagt er, „diese Orgel ist mein Leben“ – geteilt hat er es mit allen Besuchern der Kirmes.

„Ich fühle mich in die Jugend zurückversetzt“

Und die sind angetan von den historischen Sammlerstücken. „Ich fühle mich in die Jugend zurückversetzt“, sagt Walter Euler (69). Und auch mit dem neuen Standort der Kirmes ist der Mülheimer mehr als zufrieden. „Die Kirmes wird sich hier etablieren – das ist mehr als nur Ersatz“. Auch Manuel Knauf (32) findet „es eine schöne Idee, wie der Park mit eingebunden ist“, und kann sich auch ohne Nostalgie an den Orgeln erfreuen: „Ich sehe zum ersten Mal solche Orgeln, aber das ist eine schöne Abwechslung“.

Vielleicht keine Rückkehr nach Saarn?

Die Kirmes wurde erstmalig auf dem Parkplatz der Stadthalle und in Bereichen der Müga aufgebaut, da der alte Kirmesplatz für ein Flüchtlingsdorf benötigt wird, das für 600 Menschen Platz bietet.

Geprüft wurden als Alternativen unter anderem auch das Flughafengelände, der Platz des Reggae-Festivals in Styrum und der Parkplatz an der Ruhrpromenade.

Offenbar denkt man im Veranstaltungsteam nicht über eine Rückkehr nach: „Hier auf dem neuen Platz könnte man im nächsten Jahr ein Riesenrad aufbauen”, ließ Albert Ritter bereits durchblicken.

Albert Ritter hofft, dass mit der Begeisterung des Publikums auch ein Umdenken im der Politik einhergeht. „Eine 100 Jahre alte Kirchenorgel steht unter Kulturschutz – aber was ist mit den Kirmesorgeln?“, fragt sich der Präsident des Deutschen Schaustellerbundes. „Kirmes ist eine 1200 Jahre alte Volkskultur. Das sollte die Politik mehr unterstützen, damit sich noch mehr Menschen daran erfreuen.“

Immerhin: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) aus Mülheim hat vorbeigeschaut – sogar als Schirmherrin des Kirmesorgeltreffens.