Mülheim. . Gelungene Stücke-Eröffnung mit „The Situation“ und dem Berliner Gorki Theater. Das Festival hat sich deutlich verjüngt.
Deutschland in 90 Minuten und sieben Lektionen steht am Anfang der Mülheimer Theatertage. An einem Deutschkurs in Berlin-Neukölln aufgezogen ist „The Situation“ von Yael Ronen & Ensemble in einer rasanten Aufführung des Berliner Maxim Gorki Theaters. Israelis, Palästinenser und Syrer prallen im Deutschkurs aufeinander, verfolgt vom Nahost-Konflikt, der Integrations- und Flüchtlingsfrage.
Ein Kunststückchen allerdings ist es, wie diese schweren Themen aktuell auf der Höhe der Zeit ohne großes Pathos locker-leicht, urkomisch, spritzig, mitunter vollkommen politisch unkorrekt aus vollem Herzen daher kommen – trotz aller Ernsthaftigkeit. Der kurzweilige Abend – viersprachig, radebrechend, mit Händen, Füßen und viel Dynamik – sorgte für so manchen Lacher. Zwischenapplaus ist bei den Theatertagen eher selten, zum Festival-Auftakt gab’s ihn nach jeder Lektion und am Ende Stakkato.
Bei der anschließenden Publikumsdiskussion hätte die „Deutschstunde“ mit der Hin- und Her-Übersetzung zwischen Ensemble-Mitgliedern und Moderator Michael Laages fast eine Theater-Fortsetzung sein können. Den thematischen Bogen hatte Hildegard Kaluza vom Kulturministerium des Landes bei der Stücke-Eröffnung im Stadthallen-Foyer geschlagen. In ihrer Rede sprach sie von einem „wachsenden Teil von Menschen in Europa, die Fremdheit nicht mehr verstehen, nicht mehr akzeptieren und nicht mehr tolerieren wollen“. Über das gastfreundliche, solidarische Deutschland „legt sich mehr und mehr der Qualm angesteckter Flüchtlingsheime“. So sei es heute unverzichtbar, „dass sich die Kunst der drängenden politischen und gesellschaftlichen Fragen annimmt“. Und gerade das deutsche Sprechtheater stelle sich mit großer Deutlichkeit den Herausforderungen neuer gesellschaftlicher Debatten.
„Das Land steht zu den Stücken und unterstützt sie mit aller Entschiedenheit“
Als wichtigstes Forum für deutschsprachige Gegenwartsdramatik hätten die „Stücke“ seit 1976 einen festen Platz innerhalb der Theaterlandschaft, betonte Hildegard Kaluza. Stolz sei sie auf die 2010 etablierten Kinder-Stücke im Sinne der kulturellen Bildung. Sie dankte der Stadt Mülheim für die Treue zum Festival. „Das Land steht zu den Stücken und unterstützt sie mit aller Entschiedenheit.“
In seiner Funktion als Oberbürgermeister stand Ulrich Scholten erstmals am Stücke-Redner-Pult im stilvoll literarisch ausstaffierten Stadthallen-Foyer. Jahr für Jahr sei beim Festival das Beste an zeitgenössischer Dramatik zu sehen. „Dafür wird Mülheim von vielen Kulturstandorten bundesweit zu Recht beneidet“, so Scholten. Neben vielen helfenden Händen und kreativen Köpfen vor und hinter den Kulissen freut sich Scholten besonders darüber, dass in diesem Jahr „viele junge Menschen die ,Stücke’ mitgestalten“. Das Festival verjüngt sich, was in der Stadthalle zu sehen war.
Studenten tüfteln an Kinder-Stücke-Blog
Vorbereitungen laufen reibungslos
In bewährter Weise sorgen Marc Lenz, Technischer Leiter der Stadthalle, und sein Team für den Aufbau der Bühnen und den geregelten Auflauf während des Festivals, das bis zum 26. Mai an den Spielstätten Stadthalle und Studio-Bühne mit den meisten Aufführungen, im Theater an der Ruhr und im Ringlokschuppen läuft.
Marc Lenz ist zufrieden. „Die Vorbereitungen laufen ebenso gut wie die Kommunikation untereinander.“ Die Absprache mit den Gastbühnen funktioniere ebenfalls reibungslos. „Es ist ein schönes Miteinander“, so Lenz. Heute starten die Kinder-Stücke mit „Ronny von Welt“, 9 Uhr und 11 Uhr, im Theater an der Ruhr.
Erstmals übernehmen Studenten einiger Hochschulen Festival-Blogs im Internet. Studenten des Instituts für Theaterpädagogik Lingen tüfteln an einem eigenen Kinder-Stücke-Blog. Bei „Mülheim mittendrin“ mischten die jungen Leute der „Stücke“ gestern mit. Außerdem gibt’s eine Kooperation mit der Folkwang Universität der Künste: Essener Schauspielstudenten zeigten gestern auf der Bühne am Synagogenplatz Szenen aus 40 Jahren Festival. Auch vor Festival-Aufführungen präsentieren die „Szenentaucher“ Ausschnitte aus Preisträgerstücken.