Mülheim. . Rund 120 Gemälde, Grafiken und Multiples von 37 Künstlern zeigt das Mülheimer Kunstmuseum ab Samstag, 5. März, 18 Uhr, unter dem Titel „I like Fortschritt“.

Das Kunstmuseum hat sich vom Erdgeschoss bis unters Dach in eine Retro-Erlebniswelt verwandelt – Farbenrausch inklusive. Bei der Ausstellung, die am heutigen Samstag, 18 Uhr, eröffnet wird, dreht sich mit rund 120 Gemälden, Grafiken und Multiples von 37 Künstlern über drei Etagen alles um die deutsche Pop Art aus den 1960er und 1970er Jahren.

Auf deren Spuren lässt sich viel über den Zeitgeist im Wirtschaftswunderland des Westens erfahren und erfühlen: Der Fortschrittsglaube in den 1960er Jahren bekam erste Risse, die jungen Leute begehrten auf gegen starre Normen, die verdrängte Vergangenheit und gingen für die sexuelle Befreiung der Frau auf die Straße. Was die Gesellschaft in diesen Jahren bewegte, davon erzählen die Bilder – knallig-plakativ mit klarer Botschaft, auch schon mal hintersinnig, ironisch, erotisch oder bitterböse und manchmal erst auf den zweiten, dritten Blick.

"Kunst für alle"

Mit Thomas Bayrle, Werner Berges, Gernot Bubenik, Winfred Gaul, Fritz Köthe, Ferdinand Kriwet und Gerhard Richter werden führende Vertreter dieser Kunstrichtung vorgestellt, andere wieder in Erinnerung gebracht. In den 1960er Jahren schwappte die Pop Art von Amerika in die junge Bundesrepublik. „Ein spannendes Aufbruchsjahrzehnt, von dem wir heute noch zehren“, sagt Museumsleiterin Beate Reese. In der aufstrebenden Konsumgesellschaft fand die Bewegung den Nährboden – befördert von der Siebdrucktechnik, die Kunst als Massenware für den kleinen Geldbeutel möglich machte. Slogan: „Kunst für alle“.

Für die Pop Art, die lange kein Thema war, hat der Mediziner, Autor, Kurator und Sammler Hartmut Kraft aus Köln von Anfang an „gebrannt“. Als 17-jähriger Schüler habe er sein erstes Bild erworben, sagt Kraft. „Einen Beuys gab’s damals für 8 Mark und eine Druckgrafik für 10 Mark“, erinnert er sich. „Alles, was vom Budget eines Schülers und Studenten abzuzwacken war“, ging fortan in die Pop Art. Unter diesem Thema gibt er erstmals „Einblick in meine private Sammlung“. Es ist der Großteil der gezeigten Arbeiten, ergänzt durch ausgewählte Werke aus der Sammlung des Kunstmuseums.

"I like Fortschritt"

Gleich eingangs hängt ein Bild mit lila Farbtube, aus der sich eine tannengrüne Paste auf quietschgelbem Untergrund schlängelt. Gebändigt wird dieser exzentrische Farbenmix durch Kreise und Linien, quadratisch praktisch in vier Ecken gepackt. Es stammt von Winfried Gaul aus dem Jahr 1964 und könnte als Armbanduhr interpretiert werden, die anzeigt, was die Zeit geschlagen hat: „I like Fortschritt“ ist es ein deutlicher Fingerzeig auf die Bildsprache aus dem Amerikanischen und titelgebend für die Ausstellung.

Die deutschen Pop-Art-Künstlern zeigten in Techniken, Materialexperimenten und „Hard edge-Bildern“ ebenso klare Kante – und das in doppeldeutiger Hinsicht. Mit kritischer Distanz begegneten sie dem Fortschrittsglauben, der Wissenschaft, Konsumgesellschaft und der Politik in ihren Werken.

Kooperation mit Ludwig Galerie Schloss Oberhausen

Das Netzwerk der Ruhr-Kunst-Museen macht’s möglich. Bei der Pop Art machen das Mülheimer Kunstmuseum und die Ludwig Galerie Schloss Oberhausen gemeinsame Sache: Während in Mülheim die deutsche Variante ins Rampenlicht rückt, haben sich die Oberhausener auf die amerikanische Pop Art mit großen Namen wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein spezialisiert. Aber es gibt auch vergessene Künstler und neue Namen zu entdecken. Die Ausstellungen in beiden Städten ergänzen sich und bieten gemeinsam einen breiten Überblick auf die Pop Art an. „Zwei Monate lang haben wir beide Ausstellung direkt vor der Tür“, freut sich Museumsleiterin Beate Reese. Und: Den doppelten Kunstgenuss gibt’s zum halben Preis. Vom 6. März bis 8. Mai erhalten Besucher gegen Vorlage der Eintrittskarte im jeweils anderen Museum 50 Prozent Ermäßigung.

Eine Tagesfahrt am 14. April führt über beide Ausstellungen zur Ruhr-Uni Bochum mit großen Arbeiten. Daneben ist mit Hilfe privater Förderer ein Kunstkatalog entstanden (24 €). Im Begleitprogramm werden Führungen durch die Ausstellung angeboten. Die erste ist am morgigen Sonntag, 11.30 Uhr, im Kunstmuseum.