Mülheim. . Gesellschaftskritik in schrillen Farben: Eine Ausstellung des berühmten Pop-Art-Vertreters Richard Lindner hängt im Grafikraum des Kunstmuseums.

Es wird gemunkelt, dass Richard Lindner als kleiner Junge im Miederwarengeschäft seiner Mutter die Damen durchs Schlüsselloch beobachtete. Mit einem ähnlich vo­yeu­ris­tisch Blick seziert der berühmte Vertreter der Pop-Art hart und lustvoll die amerikanische Gesellschaft.

Irgendwo hat jeder schon einmal eines der prägnanten, plakativen und poppig bunten Bilder des US-Amerikaners mit deutschen Wurzeln gesehen. Das Album-Cover von The Beatles’ Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band stammt von ihm. Passend zum Stück „Die Stunde Amerikas“ von Arthur Miller entschied sich das Theater an der Ruhr für einen Indianer-Kopf von Lindner. Eine Auswahl seiner Arbeiten auf Papier zeigt das Kunstmuseum im Grafikraum, darunter die bekannten Serien „Marilyn Was Here“ von 1970 und „Fun City!“ von 1971 sowie Einzelblätter als Plakatentwürfe und Vorstudien zu Gemälden.

Begleitprogramm mit Rundgängen

Die Ausstellung „Fun City“ in Zusammenarbeit mit „Artoma“, Hamburg läuft bis zum 11. Oktober im Kunstmuseum.

Dazu gibt es ein Begleitprogramm mit Führungen sonntags, jeweils 11.30 Uhr: 26. Juli, 23. August mit Christoph Westermeier, 30. August mit Dr. Beate Reese, 11. Oktober mit Anja Bauer sowie Kunst & Kaffee Mittwoch, 2. Sept., 15 Uhr.

Lindner, geboren 1901 in Hamburg und 1978 in New York gestorben, besuchte die Kunstgewerbeschule in Nürnberg, war ausgebildeter Werbegrafiker, Bühnenbildner und Karikaturist. Genau diese Mischung merkt man seiner künstlerischen Handschrift an. Was auf den ersten Blick im schönen Schein und leuchtenden Farben daherkommt, entpuppt sich später mit überzeichneten roboterähnlichen Figuren und grotesk-karikaturistischen Zügen als bitterböse Kritik an einer wohlstandsübersättigten, aalglatten und sozial zersplitterten Gesellschaft.

Zwiespältiges Frauenbild

Ein wiederkehrendes Element ist der kreisrunde Frauenbusen – Lustobjekt und Zielscheibe zugleich. Lindners Frauenbild ist zwiespältig, er zeichnet sie unnahbar, eingezwängt in Mieder, Schlösser und Reißverschlüsse. Was die Farben betrifft, wird nicht harmonisch Ton in Ton gekleckert, da wird kontrastreich geklotzt mit sattem Pink und Türkis, Grasgrün, Blutrot und Quietschgelb.

Vom Alltagsleben auf der Straße fasziniert, fing Lindner obskure Menschenbilder in einem Großstadtzirkus ein und ließ den amerikanischen Traum in den Alptraum kippen. Beeinflusst von Künstlern wie Fernand Léger und Oskar Schlemmer schöpfte Lindner aus der Klassischen Moderne, ging mit der Verbindung zur Pop-Art und Hard Edge eigene Wege. Geflohen aus Deutschland ist der Sohn eines jüdischen Kaufmanns 1933 nach der Machtergreifung Hitlers, zunächst nach Paris, dann nach New York. So ist die Ausstellung eine Brücke zur „Befreiten Moderne“ mit deutscher Kunst 1945 bis 1949 im September.

Bilanz 2014 und Blick auf Bauarbeiten ab 2017

Pablo Picasso ist nicht August Macke und Druckgrafik schon gar nicht mit farbintensiven Ölgemälden zu vergleichen. So fällt auch die Besucherstatistik nach dem ersten Halbjahr im Vergleich mit dem Vorjahr bescheiden aus: 10.000 Besucher hatte der Expressionist 2014 in einem einzigen Monat angelockt und die Jahresbilanz auf knapp 50.000 getrieben; im ersten Halbjahr waren es in diesem Jahr 11.500. Die Ausstellung des großen Spaniers besuchten zwischen März und Juni exakt 7444 Besucher. Museumschefin Beate Reese ist damit dennoch zufrieden, weist darauf hin, dass in den ersten drei Monaten der Betrieb durch Reparaturen eingeschränkt war. Verglichen mit den Vorjahren ist das ein ganz gutes Niveau. Mit Interesse schaut Reese in die Nachbarstadt. Das Folkwang-Museum zieht mit dem freien Eintritt viele Kunstfreunde an. In Mülheim gibt es bislang den freien Mittwoch-Nachmittag.

Eigentlich dürfte das Museum andere Sorgen plagen: personelle, weil die Stelle von Gerhard Ribbrock, der vor über einem Jahr in den Ruhestand ging, noch nicht wiederbesetzt wurde, wie grundsätzliche: Da die Klimaanlage ersetzt werden muss, steht dem Haus 2017 eine längere Zwangspause bevor und für die erhoffte Erweiterung um den Schwerpunkt Film, der für die Räume der Palette vorgesehen ist, gibt es neben einer Förderzusage des Förderkreises keine konkreten Schritte. „Vor dem Hintergrund, dass das Gebäude saniert werden muss“, so Kulturbetriebsleiter Frank Baudy, „bleibt die Palette vorerst leer.“

Für die Sanierung, darunter Klimaanlage, Brandschutz und Sicherheitstechnik, seien 8,5 Mio. Euro in den Investitionsetat eingestellt worden. Die Vergabe der Arbeiten erfolge in einer europaweiten Ausschreibung. Gerechnet werde mit einer Bauzeit von ein bis zwei Jahren. (mit stt)