Mülheim. Stadtarchiv-Leiter Dr. Kai Rawe erklärt vor dem Tag der Archive, warum die historischen Dokumente besonders geschützt werden müssen.
Auf den Spuren der Geschichte: Weit über 100 deutsche Archive öffnen am Samstag ihre Türen und zeigen, welche Kostbarkeiten in ihren Magazinen schlummern. Auch das Mülheimer Archiv lädt zu einer Entdeckungsreise durch das Haus ein. Im Vorfeld sprach Dr. Kai Rawe, der Leiter, über die Bedeutung der Archive für die demokratische Gesellschaft, die Unendlichkeit der Archive und die Folgen der Digitalisierung.
Herr Dr. Rawe, der Umzug des Stadtarchivs von der Aktienstraße in das Haus der Stadtgeschichte an die Von-Graefe-Straße liegt mittlerweile drei Jahre zurück. Hat diese Zeit gereicht, um sich von dieser Mammutaufgabe zu erholen?
Dr. Rawe: Das war schon ein Akt. In unserem Endarchiv haben wir alleine 1800 laufende Meter an historischen Unterlagen. Dazu kommen unter anderem noch 2500 Mappen, die mit thematisch zugeordneten, historischen Fotografien gefüllt sind, 7500 Karten und Pläne und weitere Bestandteile. Man kann sich sicherlich vorstellen, was hinter so einem Umzug für eine Arbeit steckt. Wir sind aber froh, dass alles gut geklappt hat und wir hier gut angenommen wurden. So viel Zeit zur Erholung haben wir also gar nicht gebraucht.
Das Archiv hält eine prall gefüllte Reise durch die Stadtgeschichte bereit. Wer nutzt diese Informationen?
Rawe: Wir haben zunächst einmal die gesetzliche Pflichtaufgabe, die historischen Überlieferungen zugänglich zu machen. Das richtet sich an alle Interessierten. Darunter fallen Hobby-Historiker, Familienforscher sowie Wissenschaftler vom Studenten bis zum Professor. Auch Politiker und Juristen kommen zu uns. Das Archiv ist für eine demokratische Gesellschaft meiner Meinung nach systemrelevant, weil es der Transparenz dient.
Welchen historischen Zeitraum deckt das Archiv ab?
Rawe: Grob gesagt decken wir die vergangenen 800 Jahre ab. Die älteste Unterlage in unserem Magazin ist die Schenkungsurkunde vom Erzbischof zu Köln an das Saarner Kloster aus dem Jahre 1221. Diese belegte damals den Besitz und den materiellen Nutzen des entsprechenden Waldstückes.
Welche besonderen Schätze schlummern darüber hinaus in Ihrem Bestand?
Rawe: Die Bedeutung dessen, was für jemanden ein Schatz ist, ist sehr individuell. Die Besonderheit unserer Dokumente ist, dass es sie alle nur einmal gibt. Wir haben eine große Fülle an einzigartigen Unikaten, die nicht zu ersetzen sind.
Tag der Archive: Führungen jede halbe Stunde
Alle zwei Jahre öffnen die deutschen Archive ihre Türen. Am Samstag, 5. März, können Interessierte im Haus der Stadtgeschichte, Von-Graefe-Straße 37, in der Zeit von 11.30 bis 15 Uhr hinter die Kulissen schauen. In diesem Zeitraum finden jeweils zur halben und zur vollen Stunde Führungen durch Haus statt, verbunden mit einer Besichtigung der ansonsten nicht zugänglichen Magazinräume. Die letzte Führung startet um 15 Uhr.
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, sich im Foyer des Hauses die aktuelle Ausstellung mit historischen Fotos zur Innenarchitektur der Stadthalle Mülheim aus dem Jahr 1926 anzusehen.
Wie sorgt man dafür, dass diese unersetzlichen Dokumente über die Jahrhunderte hinaus erhalten bleiben?
Rawe: Wissenschaftler haben erforscht, dass sich das Papier bei Temperaturen bis maximal 18 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 55 Prozent am besten hält. Zudem sind die Dokumente noch durch säurefreie Kartonagen geschützt. Wir müssen uns immer bewusst machen, dass die archivierten Unterlagen kein Ablaufdatum haben. Es geht hier um Unendlichkeit.
Sorgt der Begriff Unendlichkeit für Sie in diesem Zusammenhang eigentlich für Ehrfurcht?
Rawe: Ich halte die Aufgabe schon für besonders. Wir hüten hier einen Schatz, der uns sicherlich überleben wird und den wir gut durch die Zeit bringen wollen.
Was läuft tagtäglich an aktuellen Dingen in Ihr Archiv ein?
Rawe: Das ist natürlich erst einmal die Tageszeitung. Dann kommen zum Beispiel noch Register der Standesämter oder Protokolle von Ausschüssen oder Ratssitzungen, Unterlagen der Verwaltung, aber auch von Schulen, Vereinen, Verbänden, Privatpersonen, Unternehmern und vielen mehr.
Wird alles, was Sie erhalten, auch archiviert?
Rawe: Wir behalten nicht alles. Das ist die heikle Aufgabe, die wir zu bewältigen haben. Wir müssen uns fragen, was für unsere Gegenwart repräsentativ, üblich und wichtig ist. Wir heben nicht jedes Knöllchen auf. Jedes 50 000. aber vielleicht schon, weil es zeigt, wie im Jahr 2016 in Mülheim mit Falschparkern umgegangen wird.
Nach welchem Prinzip wird das Archiv strukturiert?
Rawe: In der Fachsprache heißt es, dass wir nach dem Provinienzprinzip ordnen. Das bedeutet, dass wir primär nicht chronologisch sortieren, sondern der Verfasser oder der Verursacher des Dokuments die oberste Priorität hat.
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Archive?
Rawe: Sie ist eine enorme Herausforderung, die wir bewerkstelligen müssen. Wir müssen die Dokumente in der Form archivieren, in der sie verfasst werden. Das bedeutet, eine elektronische Akte bleibt auch eine elektronische Akte. Nur: Kann man eine elektronische Akte aus der heutigen Zeit auch in 100 oder 500 Jahren noch mit einem Programm öffnen? Das wird sicherlich die Aufgabe der Zukunft sein. Es muss ein Format entwickelt werden, das garantiert, dass das möglich sein wird.