Mülheim. Sozialdezernent Ulrich Ernst geht es um mehr als die Vermeidung von Obdachlosigkeit. Er will für Flüchtlinge ein systematisches Integrationsmanagement.

Wie viele Flüchtlinge in diesem Jahr in der Stadt eintreffen, kann mit Gewissheit noch niemand sagen. Auch Innenminister Thomas de Maizière hütet sich davor, öffentliche Prognosen abzugeben. Das gilt umso mehr, seitdem Russland Aleppo bombardiert hat und die Türkei massiv gegen Kurden vorgehen. Die Stadtverwaltung geht weiterhin von etwa 2000 Menschen, also etwa 500 mehr als im vergangenen Jahr aus. Winterbedingt sind die Zahlen leicht gesunken. Sozialdezernent Ulrich Ernst weist aber auf die Dynamik hin. In diesem Januar seien in die Bundesrepublik etwa drei Mal so viele Menschen eingereist wie im vergangenen Jahr.

Für die Stadt ist das eine enorme Herausforderung. Der Kraftakt konnte aber nur gelingen, weil sich alle Stellen dieser Herausforderung auch gestellt haben. Acht Flüchtlingsdörfer werden in diesem Jahr geschaffen. An der Oberheidstraße baut die Schreinerei Siepmann wieder Holzhäuser, weil bei der Ausschreibung kein anderer Anbieter so günstig aber auch so gut und zügig war. Für die Planer ist es ebenso eine Herkulesaufgabe. „Was sonst in zwei Jahren geschieht, muss in wenigen Wochen abgewickelt werden.“

Gleiches gelte für die Schulen, die sich alle an der Aufnahme von Flüchtlingskindern beteiligten, was keine Selbstverständlichkeit sei. „Im Grundsatz hält dieser Konsens noch“, sagt Ernst, auch wenn es hier und da Klagen gebe, dass andere auch mehr aufnehmen könnten. Künftig würden alle Grundschulen mitmachen müssen, die in den entlegenen Stadtteilen Selbeck und Mintard, wo keine oder nur wenige Flüchtlingskinder leben, eingeschlossen.

"Zugang zu Kitas erleichtern"

Ein genauer Blick auf die Struktur der Flüchtlinge zeige zweierlei: Sie werden mit größter Wahrscheinlichkeit länger bleiben und sind jung - die Hälfte ist jünger als 25 Jahre, worin Ernst auch eine Chance sieht, weil die Erfolgsaussichten für eine gelungene Integration höher ist. Ernst geht es um mehr als nur um die Vermeidung von Obdachlosigkeit. Ihm ist an einem systematischen Vorgehen gelegen, das alle Bereiche umfasst. Ein erster Schritt ist die Schulentwicklungsplanung, da 400 zusätzliche Kinder zu berücksichtigen sind. Zu wenig bedacht ist bislang, dass auch Flüchtlingskinder einen Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kita haben. Dass dieser derzeit kaum wahrgenommen wird, könnte man als Glücksfall werten, da das Angebot ohnehin nur dank Tagesmütter abgedeckt werden kann, die bei vielen Eltern eher zweite Wahl sind.

So sieht das Ernst aber nicht. „Ich bedauere, dass viel zu wenig Flüchtlingskinder in die Kita gehen“, sagt er. Es ist bekannt, dass je länger ein Kind in die Kita geht, es sich umso besser entwickelt. Das gilt insbesondere bei Flüchtlingskindern für den Spracherwerb. Kleine Kinder lernen schneller als größere und können dann auch noch in ihren Familien als Multiplikatoren dienen.

Aus kulturellen Gründen oder weil die Eltern keine Vorstellungen von Betreuungsangeboten haben, schicken sie ihre Kinder aber nicht in die Kita - zumal, wenn die Eltern selbst zu Hause sind. Das will Ernst mit Hilfe des Förderprogramms „Ruhrfutur“ der Stiftung Mercator ändern. „Wir wollen den Zugang zu Kitas erleichtern und den Eltern verdeutlichen, dass es nichts Schlimmes ist, wenn sie uns ihre Kinder geben.“ Solche Brückenangebote sollen in Styrum und in Eppinghofen eingerichtet werden.

Die Mercator-Stiftung hilft

Im Bildungsbereich möchte Ernst gar nicht differenzieren zwischen Flüchtlingen und Mülheimern, da es schon jetzt hier viele Sozialbenachteiligte aus bildungsfernen Schichten gibt. Bei allen stelle sich die Herausforderung, wie die Kinder individuell gefördert werden können, damit der Übergang in die Schule und den Beruf unabhängig vom Bildungshintergrund der Eltern möglichst reibungslos gelingt.

Personell sei es überall knapp, aber Ernst sieht auch Möglichkeiten für die Schulen, unabhängig von zusätzlichen Pädagogen besser zu werden. Diesen Prozess unterstützt ebenfalls die Mercator-Stiftung mit einem mehrjährigen Förderprogramm. Die Schulen können dabei selbst ihre Ziele definieren und Wege festlegen, wie sie diese erreichen können. Dabei profitiere nicht der einzelne Lehrer sondern durch Coaching, gemeinsame Kompetenzteams und Fortbildungen das gesamte Kollegium. Die Resonanz der sieben Grundschulen und drei weiterführenden Schulen, die bei diesem Programm mitmachen, sei positiv. Acht weitere Schulen hätten sich beworben, um in diesen Prozess der Qualitätsförderung einzusteigen.

Insgesamt sieht Ernst die Integration der Flüchtlinge als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Zugänge zu Sportvereinen, Theatern, Museen ebnen müsse. Im Grunde könne er die alten Konzepte aus dem Schreibtisch ziehen, die für die Gründung der Sozialagentur in Styrum erarbeitet worden seien, ehe die Zuständigkeit mit der Sozialreform auf den Arbeitsmarkt reduziert wurde. „Bei Gesprächen muss möglichst schnell geklärt werden: wo stehen die Menschen, wie kann der Weg verlaufen, was brauchen sie dabei“, erklärt Ernst und ist guter Dinge, dass ein solches, systematisches Management als landesweit vorbildliches Modellprojekt gefördert werden kann.