Mülheim. . Die Stadt und die Ruhr-Uni haben die Auswirkungen der freien Grundschulwahl erforscht. Von den Ergebnissen profitiert auch der Schuldezernent.
Die freie Grundschulwahl, die seit 2008 gilt, fördert die soziale Trennung innerhalb der Gesellschaft: Eltern mit niedrigem Bildungsstand oder Migrationshintergrund wählen oft nahegelegene Grundschulen, unabhängig von deren Ruf. Familien mit mittlerer oder hoher Bildung entscheiden sich hingegen selten für sozial benachteiligte Schulen: entweder, weil sie ohnehin in bessergestellten Wohngebieten leben oder weil sie auch längere Anfahrtswege akzeptieren.
So lauten Kernaussagen einer Studie des Zentrums für interdisziplinäre Regionalforschung an der Ruhr-Uni Bochum und der Stadt Mülheim (wir berichteten). Auftraggeber war die Bertelsmann Stiftung – und die nannte nun auch Gründe, warum die wichtige Untersuchung zur Chancengerechtigkeit ausgerechnet in Mülheim erstellt wurde.
„Zum einen hat Mülheim eine exzellente Stadtstatistik“, so die wissenschaftliche Projektleiterin Regina von Görtz, „und die Stadt traut sich auch, Transparenz herzustellen.“ So offen sei längst nicht jede Kommune. „Zum anderen steht die Stadt exemplarisch fürs Ruhrgebiet.“ Hier gebe es – wie andernorts eben auch – zum einen sehr wohlhabende, zum anderen aber auch sehr arme Menschen.
Daten von 3995 Jungen und Mädchen ausgewertet
Für die Studie wurden die Daten von den 3995 Jungen und Mädchen ausgewertet, die zwischen 2008 und 2011 an einer der 24 hiesigen Grundschulen angefangen haben. Im Blickpunkt standen die (anonymisierten) Informationen ihrer Schuleingangsuntersuchung. Diese gibt Auskunft über den sozialen Hintergrund der Eltern, über Fakten wie Bildungsstand, Migrationshintergrund, Arbeitslosigkeit – und ermöglichte konkrete soziale Schulprofile sowie eine Analyse des elterlichen Wahlverhaltens.
„Besonders drastisch“ stellte sich die Situation an der Grundschule am Dichterviertel dar: Von den 197 Kindern, die damals in dem Bezirk eingeschult wurden, besuchten nur 46 die Schule in der Nachbarschaft. 151 Kinder wanderten ab. Gleichzeitig kamen nur 38 Kinder von anderen Bezirken an die Schule. Seit 2011 hat sich die Lage laut Studie entspannt; die Schülerzahlen steigen wieder.
Elterliches Wahlverhalten erschwert Schulentwicklungsplanung
Das elterliche Wahlverhalten erschwere die Schulentwicklungsplanung: „Früher“, so von Görtz, „wusste man anhand der Geburtenraten im Quartier genau, wie viele Kinder kommen werden.“ Das sei nun eben nicht mehr so. Für die Stiftung, die sich für Chancengerechtigkeit einsetzt – „nichts anderes kann das Ziel unserer Gesellschaft sein“ –, sind die Konsequenzen der Untersuchung übrigens glasklar: Die sozialen Strukturen jeder Schule sollten transparent gemacht werden. Nur dann könnten benachteiligte Einrichtungen zum Beispiel verstärkt mit guten Lehrern und Schulsozialarbeitern sowie einem konsequenten Ganztagsprogramm ausgestattet werden. Die Schulen würden auch für bildungsaffine Eltern wieder interessant – und die Trennung der Schichten ließe sich abfedern.
Schuldezernent Ulrich Ernst freut sich über die Erkenntnisse: „Weil wir nun wissen, in welchen Schulen welche Herausforderungen bestehen, können wir gezielt investieren.“ Gemäß dem Grundsatz „Ungleiches ungleich behandeln“ wolle man dies nun auch mit aller Kraft tun, etwa die Gebäudeinfrastruktur voranbringen. Mülheim sei „an Forschung und Transparenz über Bildungsprozesse interessiert“, so Ernst. „Wir wollen wissen, was wirkt und wo wir besonders unterstützen müssen.“