Essen. Einer Untersuchung zufolge verstärkt die freie Schulwahl die soziale Spaltung in einer Stadt. Kinder verschiedener Schichten bleiben unter sich.

„Heute ist ein guter Tag für die Kinder in unserem Land“, sagte der damalige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bei der Verabschiedung des Schulgesetzes im Landtag. Das sah neben der Einführung der umstrittenen „Kopfnoten“ auch die Aufhebung der Schulbezirke für Grundschulen zum Schuljahr 2008/09 vor.

Darum hatte es zuvor erbitterte Debatten gegeben. Die Kritik der Experten bei einer Anhörung im Landtag war einhellig. Sie warnten vor Schülertourismus durch die Stadtgebiete, vor der Entstehung von Ghetto-Schulen und vor sozialer Auswahl vom ersten Schultag an. Dies stehe dem eigentlichen Bildungsauftrag der Schulen entgegen.

Laschet fürchtete reine Ausländerschulen

Sogar der damalige Integrationsminister Armin Laschet, heute CDU-Landeschef, war skeptisch und befürchtete reine Ausländerschulen. Die rot-grüne Nachfolgeregierung hat die Regelung, wonach jedes Kind die für seinen Wohnsitz zuständige Schule besuchen soll, später nur zum Teil rückgängig gemacht und es den Kommunen überlassen, Schulbezirke zu regeln. Meist fassten die Stadträte das heiße Eisen aber nicht an.

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Ziel der damaligen schwarz-gelben Gesetzesänderung war es zum einen, den Eltern mehr Freiheit bei der Schulwahl einzuräumen, zum anderen, einen Wettbewerb unter den Schulen anzufachen, um die Qualität des Unterrichts zu steigern. „Dies war ein Trugschluss“, sagt Thomas Groos, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Regionalforschug (Zefir) der Ruhr-Universität Bochum. „Schulen bewegen sich nicht auf einem Markt, wo Konkurrenz das Geschäft belebt.“

"Sozial selektives" Wahlverhalten der Eltern

Der Geograph und Soziologe hat am Beispiel der Stadt Mülheim im Auftrag der Bertelsmann Stiftung untersucht, ob Eltern von der freien Grundschulwahl verstärkt Gebrauch machen und ob dies zu einem Anstieg der Trennung nach Herkunft und Sozialstatus führt. Nach der Auswertung der Daten von rund 4000 Schülern aus den Schuljahren 2008/09 bis 2011/12 kommt er zu dem Ergebnis: „Die von vielen Experten geäußerten Befürchtungen haben sich bestätigt. Es hat eine zusätzliche soziale Entmischung stattgefunden.“ Kurz: Die Kinder der einzelnen sozialen Schichten bleiben unter sich. Dies lasse sich nun mit Zahlen belegen.

Viele Schulen in sozialen Brennpunkten kämpfen wegen sinkender Anmeldungen ums Überleben, während andere sich vor Nachfragen kaum retten könnten. Ursache dafür sei das „sozial selektive“ Wahlverhalten der Eltern – was man ihnen indes nicht verübeln könne. Sie wollten eben ihren Kindern den bestmöglichen Start ermöglichen und suchen die Schule mit dem besten Ruf aus. Und dieser sei eng verquickt mit der Zusammensetzung der Schülerschaft.