Mülheim. . In der Mülheimer Wolfsburg diskutierten Experten darüber, ob die Region krank macht. Sozioökonomische Daten zeigen spürbare Wirkung auf den Gesundheitszustand.

Macht die Region uns krank? In der Tabelle der Neuerkrankungen beim Lungenkrebs liegen die ersten zehn Städte alle im Ruhrgebiet. Die Zahl der Übergewichtigen in der Region liegt deutlich über dem Landesschnitt. Und wer auf die Grafik der Lebenserwartung blickt, muss feststellen: Wer nördlich der A40 lebt, stirbt im Schnitt fünf Jahr früher als der Bonner oder Münsteraner. Sind wir im Revier kränker, schlechter versorgt? Experten diskutierten das jetzt in der Akademie „Die Wolfsburg“ und zeigten dabei gute wie schlechte Entwicklungen auf.

Mehr Arbeitslose und mehr alte Menschen

„Wir haben hier deutlich höhere Zahlen auch an Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, listet Prof. Josef Hilbert, Direktor des Instituts für Arbeit und Technik, auf. Es sind vor allem sozioökonomische Daten, die sich in vielen Krankenakten des Ruhrgebietes niederschlagen, wie Dr. Ansgar Wübker vom Kompetenzbereich „Gesundheit“ beim Rheinisch Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung erklärt.

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Es leben hier mehr einkommensschwache Menschen, mehr Migranten mit Sprachproblemen, mehr Arbeitslose, mehr alte Menschen. Gleichzeitig sind die Präventionsanstrengungen geringer, die krank machenden Einflüsse höher. Beispiel: Die Quote der Raucher liegt in Gelsenkirchen bei 35 Prozent, die in Bonn dagegen nur bei 20. Der medizinische Rettungsdienst, berichtet Dr. Christoph Hanefeld, Chefarzt des Katholischen Universitätsklinikums Bochum, bekomme zuweilen erschreckende Einsichten in die „sozialen Katastrophen“, die sich in manchen Häusern abspielten.

Nachholbedarf bei Hausärzten

Gesundheitsdebatte in der „Wolfsburg“ mit Prof. Josef Hilbert, Generalvikar Klaus Pfeffer,  Moderatorin Dr. Judith Wolf, Staatssekretärin Martina Hoffmann-Badache, Dr. Ansgar Wübker und Chefarzt Dr. Christoph Hanefeld (v.l.).
Gesundheitsdebatte in der „Wolfsburg“ mit Prof. Josef Hilbert, Generalvikar Klaus Pfeffer, Moderatorin Dr. Judith Wolf, Staatssekretärin Martina Hoffmann-Badache, Dr. Ansgar Wübker und Chefarzt Dr. Christoph Hanefeld (v.l.). © Achim Pohl

Auch die medizinische Versorgung spielt eine Rolle: Auf der einen Seite hat sich das Ruhrgebiet in den vergangenen 15 Jahren als sehr innovativ im Gesundheitswesen erwiesen, so Hanefeld mit Verweis auf Klinikfusionen mit Spezialisierungen, auf zahlreiche präventiv arbeitende Einrichtungen. Allerdings: Die Versorgung mit Hausärzten fällt im Ruhrgebiet deutlich schlechter aus als in den meisten anderen Regionen. Kommen im Ruhrgebiet auf einen Hausarzt 2134 Patienten, sind es im Bundesschnitt nur 1671. „Hier gibt es großen Nachholbedarf“, betont Hilbert. Er fordert die Ärzteschaft auf, hier endlich tätig zu werden. Sein Appell geht auch an die Politik.

Daran wird gearbeitet, betont Martina Hoffmann-Badache, Staatssekretärin im NRW-Gesundheitsministerium. Auch die Landesregierung sei angesichts der Zahlen besorgt. Der Gemeinsame Bundesausschuss für die Ärzteversorgung berate derzeit darüber. Hoffnung auf Besserung hat die Staatssekretärin jedoch nicht. Eine Gleichberechtigung hieße: Etwa 300 zusätzliche Hausärzte müssten sich im Ruhrgebiet niederlassen. Woher sollen die kommen? In der Politik gibt es die Sorge, dass ein Ausgleich in den Ruhrgebietsstädten zu einer Verschlechterung auf dem Land führen würde.

Netzwerke in Wohnquartieren

Einen weiteren Missstand sieht Hanefeld darin, dass zwar viel Geld derzeit in den Ausbau der geriatrischen Versorgung fließe, aber Kinder völlig vergessen würden: „Die Kindermedizin ist deutlich unterfinanziert. Da schreibt jedes Krankenhaus rote Zahlen.“

Was kann besser werden? In Wohnquartieren sollen Netzwerke, die Ärzte, Kirchen, Kitas, Schulen, Senioreneinrichtungen umfassen, soziale Hilfestellung geben, Aufklärung und Ansprache verbessern, Prävention stärken und so den Gesundheitszustand schrittweise verbessern – in allen Altersgruppen.