Mülheim. Im „Schmuckkästchen“ am Zehntweg leben mehrere Generationen einer Familie unter einem Dach.

Hundert Jahre alt, aber wie aus dem Ei gepellt. Das Haus Nr. 219 fällt auf, weil es anders ist als alle anderen am Zehntweg. Frisch gestrichene Holzfensterläden, Schmuckleisten in dunkelgrau mit weiß, Butzenscheiben, begrüntes Türdach und ganz viel Efeu, dazu in jedem Fenster Blumenkästen mit Petunien – alle in pink. Das Schmuckkästchen sieht nach viel Arbeit aus. „Das stimmt“, lacht Gerlinde Walter. „Aber ich mache das gern.“

An der Klingel der Eingangstür stehen in Messing geprägt sechs Namen. Dass das Ehepaar Walter ihre beiden erwachsenen Töchter so nahe bei sich hat, empfinden sie als großes Glück. Das Mehrgenerationenhaus in Dümpten beherbergt, außer den sechs Menschen einer Familie, auch noch zwei Hunde, drei Katzen, ein Aquarium voller Fische und die Schildkröte Erna. „Wenn ich könnte wie ich wollte, dann hätten wir auch noch Hühner und Kaninchen“, sagt Gerlinde Walter. „Ich würde am liebsten auf einem Bauernhof leben, mit vielen Tieren. Aber weil das nicht geht, machen wir uns alles ein bisschen ländlich. Viele Leute bleiben stehen und sagen uns, dass sie sich an unserem Haus erfreuen.“

Jüngster Spross hat noch keine Familie gegründet

Vor über 25 Jahren kam die Familie bei einem Osterspaziergang in Speldorf an einem leer stehenden Haus vorbei. Da wurde die Idee geboren: Ein Haus für uns alle; lasst uns doch zusammenziehen. Bald schon fanden sie „ihr“ Haus am Zehntweg und entschieden sich innerhalb von nur drei Tagen, wie Schwiegersohn Jochen ter Jung (51) sich erinnert: „Das war 1989. Anfangs lebte der Opa noch oben, jetzt ist es das Zimmer von Nico.“

Der jüngste der Familie kennt es von Kindheit an nicht anders, als dass immer jemand für ihn da war. Seine Mutter Manuela (52): „Wenn ich arbeiten war, haben meine Eltern auf das Baby aufgepasst, meine Schwester auch. Annik studierte noch und hat mit einem Bein den Kinderwagen bewegt und dabei gelernt.“ Wenn Nico mal eine Familie gründen will, wird es aber zu eng im Familienhaus, meint das Baby von damals, inzwischen 22.

Gemeinsames Frühstück an Samstagen

Das alte Haus war beim Kauf ziemlich renovierungsbedürftig, aber nach und nach hat die Familie Walter/ter Jung es damals „trockengelegt“ und sich eingerichtet: Unten die Eltern und Tochter Annik, oben Tochter Manuela mit Ehemann, Sohn und drei Katzen. Die dürfen den beiden Tibet-Terriern Motte und Merlin im Treppenhaus nicht begegnen, denn „die haben sich zum Fressen gern“, meint die Familie. Es ist immer was los im Haus, sagen die Eltern. Tagsüber sei es recht ruhig, alle sind ja arbeiten. Aber abends gehe es schon los. „Da sitzt man gerade fünf Minuten, da ruft der Enkel: ‚Omma, ich geh‘ trainieren, ne?‘ Dann kommen die zwei von oben rein: ‚Wir fahren jetzt ins Fitnessstudio. Und danach kommense alle wieder und immer erst hier rein, Bescheid sagen, dass sie zurück sind. Wir finden das schön.“

Es sei schon beruhigend, die Töchter hier zu haben, meint die Mutter. Das sagen ihr viele. Und eine davon ist Ärztin, besser geht’s ja gar nicht. Mit dem Kochen wechselt sich die Großfamilie ab: samstags unten, sonntags oben; in der Woche isst jeder für sich. Samstags gehen sie oft alle zusammen frühstücken. Auch Urlaube auf Texel verbringen sie gern gemeinsam.

Schildkröte Erna hat einen eigenen Kühlschrank

Vom Wohnzimmer geht es hinten durch einen verglasten Balkon in den Garten. Klein, aber gut ausgenutzt. Auffällig, da selten: Ein ganz schön hohes Hochbeet mit Treppe, farblich ein Traum in Rosa. „Der Garten ist mein Hobby, aber ich habe ja nicht so viel Land hier. Und da bin ich mit meinen Beeten in die Höhe gegangen.“ Gerlinde Walter zeigt auf ein Gartenhäuschen. „Dat is unser Kabüffken, da sitzen wir oft im Sommer zum Essen. Aber dat kommt alles weg. Die oben wollen eine große Holzhütte hier aufbauen. Da kommt dann wieder Grün dran, dat mach‘ ich schon“, sagt Frau Walter listig.

Im Rausgehen noch ein Blick auf Erna, die Schildkröte. Zum Überwintern „hat sie einen extra Kühlschrank auf dem Balkon. Damit sie nicht aus Versehen in der Suppe landet.“ Eine lachende Großfamilie. Schön, dass es sie noch gibt.

Fachmann in Sachen Holz

Manfred Walter, 79-jähriger Senior des Hauses, erzählt auf die Frage, ob er mit den vielen Holzverkleidungen im und am Haus etwas zu tun habe: „Ich bin gelernter Schreiner, habe aber nach der Lehre eine ganz andere Richtung eingeschlagen. Die Liebe zum Holz ist geblieben.“ Das kann man sehen. Überall Zeugen seines Schaffens, außen wie innen. Rund um den Esstisch mutet es bayerisch an, Deckenbalken umranden den Essplatz, Fenster und Mauerdurchbrüche aus Holz, das gesamte Schlafzimmer besteht aus kunstvoll gestalteten Schränken, alle Türen samt Rahmen hat er selbst gemacht, das Bett, die Zimmerdecken.

Sogar Schildkröte Erna hat eine Holzumrandung um ihr verglastes Zuhause. „Nun ist aber auch genug. Heute habe ich nicht mehr so viel Lust dazu.“ Im Flur ein Bauernschrank vom Großvater und eine Vitrine der Puppensammlung seiner Frau. Das hat er ausnahmsweise mal nicht gebaut. In der Küche mit rundem Durchblick zum Flur glänzt alles weiß und schwarz, kein Holz, nirgends. Das Auge muss ja auch mal ausruhen. „Einmal muss auch Schluss sein.“