Mülheim an der Ruhr. . Evgenia Gaas hat als alleinerziehende Mutter erfolgreich eine Ausbildung in Teilzeit absolviert. Bisher bieten nur zwei Betriebe in Mülheim solche Stellen.
In ihrem ersten Berufsleben kümmerte sich Evgenia Gaas als Buchhalterin um Bilanzen. Als sie von Russland nach Deutschland auswanderte, konnte sie aufgrund der Sprachbarriere nicht mehr in ihrem Job arbeiten. Alleinerziehend mit zwei Töchtern landete sie als beinah hoffnungsloser Fall beim Arbeitsamt. Dann bekam Evgenia Gaas die Chance auf eine Ausbildung in Teilzeit – und damit auf ein zweites Berufsleben. Heute arbeitet sie als Fachlageristin mit Dämm-Materialien für die Bauindustrie.
Wir treffen die 33-Jährige an ihrem Arbeitsplatz bei Gera Chemie an der Elbestraße wieder. Hier hatten wir sie bereits vor drei Jahren kennengelernt, zu Beginn ihrer Lehrzeit. Was hat sich seitdem getan? „Ich habe meine Ausbildung nun fast abgeschlossen“, berichtet sie. Das Teilzeitmodell mit sechs statt acht Stunden am Tag habe sich im Alltag mit den Kindern gut bewährt. „Ihr Deutsch hat sich außerdem sehr verbessert und sie ist viel mehr aus sich herausgekommen“, schiebt ihr Arbeitgeber Gerd Kleemeyer hinterher. Der Geschäftsführer des 16 Mitarbeiter starken Unternehmens bereut seine Entscheidung keinen Tag. Vielmehr rät er anderen Unternehmern, sich für alternative Ausbildungsmodelle zu öffnen: „Im Hinblick auf den Fachkräftemangel muss man attraktiv für Bewerber sein“, erklärt er. „Indem man Menschen, eine Chance gibt und flexible Arbeitszeiten ermöglicht, erreicht man eine stärkere Bindung an das Unternehmen – und eine höhere Motivation“, ist er überzeugt.
Die Angst vor Ausfallzeiten ist groß
Überzeugungsarbeit muss Marion Steinhoff von der Agentur für Arbeit ebenso leisten. Denn in Mülheim bilden derzeit lediglich zwei Betriebe in Teilzeit aus. „Viele scheuen sich, alleinerziehende Frauen oder Männer einzustellen.“ Die Angst vor Ausfallzeiten ist groß. Dabei hätten rund zehn Prozent der 308 im Monat März arbeitslos gemeldeten jungen Menschen den Bedarf für eine Teilzeit-Lehre. „Die Stundenzahl ist dabei flexibel gestaltbar“, erklärt Marion Steinhoff.
100 Ausbildungsverträge weniger abgeschlossen
Freie Ausbildungsstellen in Teilzeit oder Vollzeit nimmt der Arbeitgeber-Service entgegen: 0800 4555520. Kontakt beim bbwe: 301 593 311.
Nur jeder vierte Betrieb in Mülheim bildet aus. „In diesem Jahr wurden mehr als 100 Ausbildungsverträge weniger abgeschlossen als im Jahr 2014“, beklagt Jürgen Koch, Vorsitzender der Geschäftsführung bei der Agentur für Arbeit. Als Grund sieht Koch den Wegzug mehrerer Unternehmen.
„Die Selbstständigkeit und das Verantwortungsbewusstsein dieser Bewerber sind meist höher als bei Schulabgängern“, weiß Claudia Isenbügel von der Gemeinnützigen Gesellschaft für Beratung (bbwe), die jedes Jahr Frauen und Männer für die Bewerbung coacht. „Wir stellen Kontakt zur Agentur für Arbeit her, die uns passende Stellen anbietet.“ Bbwe und Arbeitsagentur unterstützen die Bewerber ebenso bei Problemen wie Lernschwächen oder der Kinderbetreuung, „die Betriebe bekommen ebenfalls Hilfestellungen“, versichert Marion Steinhoff.
Evgenia Gaas ist jedenfalls dankbar, dass sie die Chance bekam, sich beruflich neu auszurichten. „Wir freuen uns, sie nach ihrer Abschlussprüfung im April übernehmen zu können“, sagt Gerd Kleemeyer.