Mülheim. Der Mülheimer Walter Goerdt erlebte im März 1945, wie sich am Kamper See im heutigen Polen eine Tragödie ereignete.

Beinahe 70 Jahre ist das Kriegsende her. Walter Goerdt war damals acht Jahre alt und mit seiner Mutter auf der Flucht von der Ostseeküste im heutigen Polen Richtung Mülheimer Heimat. Zu Fuß ging es voran, streckenweise mit dem Zug. Das war mühselig, dauerte fast ein Jahr. Schneller wäre es wohl gegangen, wenn sie – so wie geplant – einen Flieger am Kamper See bei Treptow an der Rega bestiegen hätten. Doch kurz zuvor waren sie Zeugen eines schrecklichen Absturzes geworden.

Zum Jahrestag treibt den Mülheimer die Erinnerung wieder um: Über 70 Kinder hatten damals das Wasserflugzeug bestiegen, vier Besatzungsmitglieder und andere Erwachsene. Alle wollten so schnell wie möglich weg aus dem Gebiet nahe Treptow (heute Trzebiatów) und Kolberg (heute Kolobrzeg). Die russische Armee war nicht mehr weit, Hunderte von Menschen strömten an den See, um einen Flieger zu erhaschen, darunter Walter Goerdt mit Teilen seiner Familie. Die Großmutter fiel hin, rutschte in den See. Was wie ein Unglück ausgesehen hatte, entpuppte sich als Glück: Sie war so schneller nach vorn gelangt in der Schlange und konnte mit Walters Cousine und dem Vetter früher abfliegen.

„Es gab keinerlei Rettungsversuche“

Sie also waren in Sicherheit; Walter und seine Mutter mussten weiter warten. „Mit einem Mal wurde geschossen, wir verkrochen uns in den Dünen.“ Die nächste Maschine, die abhob, war jene mit den Kindern: Mädchen und Jungen, die per Kinderlandverschickung nach Pommern gekommen waren. „Ihr Flieger hob ab, dann wirkte es plötzlich so, als ob er über das Heck abkippte und sich in den Himmel schraubte.“ Das überladene Flugzeug schoss ins Wasser. „Die Menschen am Ufer schrien, doch es gab keinerlei Rettungsversuche. Es herrschte Chaos.“ Die Mutter habe in diesem Moment entschieden: „Wir steigen in kein Flugzeug.“

Die Bilder, die er sah, haben ­Goerdt nie losgelassen. „Das vergisst man nicht.“ Die Maschine ruht noch heute im Kamper See, in drei Metern Tiefe, unter Schlamm. Er hoffe, dass sie eines Tages gehoben wird. „Es würde den Toten gerecht, wenn sie noch ein Grab erhielten.“ Für die Bergung macht sich auch der Volksbund Dt. Kriegsgräberfürsorge stark. Man arbeite mit einer Projektgruppe zusammen, so Pressesprecher Fritz Kirchmeier, doch die Chancen ständen wegen finanzieller und technischer Probleme schlecht. Einen Gedenkplatz aber werde man dort noch in diesem Jahr einweihen.