Mülheim. . Fünf Teenager schwärmen von ihrer Schule im Hexbachtal in Mülheim an der Ruhr, dass es nur so kracht. Dabei kam doch keiner von ihnen freiwillig her.

Sascha Karger weiß, was er will: Fachabi machen, dann eine Ausbildung zum Forstwirt. Anschließend „wegen der besseren Aufstiegschancen“ studieren; in Weihenstephan oder Göttingen; Forstwirt- oder wissenschaft. Am liebsten ersteres, denn: „Das ist praxisnäher angelegt. Und ich will in den Wald, nicht ins Ministerium.“ Sascha ist 15 und geht zur Hauptschule. Aber wer ihn so reden hört, wer ihn schwärmen lässt vom Praktikum bei einem Sauerländer Förster, der bezweifelt nicht, dass er erreicht, wovon er träumt.

Klassenkamerad Enes Dascioglu (14) will Ingenieur werden („Maschinenbau, bei Siemens“) und Fabian Habig (16) „Fahrzeuglackierer und dann Opas Werkstatt übernehmen“. Drei Hauptschüler mit Ehrgeiz. Drei ganz normale Schüler der Mülheimer Schule im Hexbachtal, deren Leiterin vom Initiativkreis Ruhr jüngst als Talentförderin ausgezeichnet wurde und über deren Erfolg (und strikte Regeln) inzwischen landesweit geredet wird.

Freiwillig indes kamen weder Sascha noch Enes noch Fabian an die Schule im Hexbachtal. Sie landeten hier, weil andere Schulen sie nicht wollten. Genau wie Julia Spies (15) und Besarta Gashi (14), die die Runde derer vervollständigen, die an diesem Tag erzählen, wie es sich anfühlt, diese besondere Schule zu besuchen.

„Wenn Frau Nixdorff Nein sagt, meint sie Nein“

„Okay, dann also Hauptschule, hab’ ich enttäuscht gedacht“, erinnert sich Julia an ihre erste Reaktion. Bis zur 6. Klasse lebte sie in Trier, nach dem Umzug ins Revier wollte sie zur Gesamtschule. Doch die wollte sie nicht. Keine einzige. Julia landete an Mülheims letzter Hauptschule. Frustriert und sauer. „Kam schließlich auch bei Freunden und Verwandten nicht gut an“, erinnert sie sich. Heute würde die Klassensprecherin der 9b um keinen Preis der Welt an eine andere Schule wechseln. „Gut“, korrigiert sie, „Gymnasium wäre eine Option, ein gutes Gymnasium...“

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Dass ihr hier vorgeschrieben wird, was sie (nicht) anzuziehen hat: kein Problem mehr. Anfangs, gibt Julia zu, „fand ich das echt uncool.“ Da habe sie mit der Schulleiterin viel „diskutiert“. „Aber Frau Nixdorff hat Nein gesagt. Und wenn sie Nein sagt, meint sie Nein.“ Heute findet Julia die strengen Kleiderregeln richtig. „Wir kommen ja nicht zum Rum-Gammeln her!“, erklärt sie. Inzwischen ziehe sie sich nach dem Unterricht zuhause nicht einmal mehr um....

Das Handyverbot im Hexbachtal: ein anderes Thema. „Wäre schon schön, wenn wir da wenigstens in der Pause mal kurz drauf gucken dürften . . .“, meinen die fünf Klassenkameraden übereinstimmend. Aber, wie gesagt: wenn Frau Nixdorff Nein sage . . .

„Früher war ich böse und schrie viel rum“

Enes kam vor zwei Jahren ins Hexbachtal, mit ganz anderen Problemen. Er war von der Realschule geflogen. Weswegen? „Schlechter Laune“, sagt der 14-Jährige. „Früher war ich böse, hab nie aufgepasst, nie Hausaufgaben gemacht und viel rumgeschrien.“ Erst im Hexbachtal habe er „Benehmen und Höflichkeit gelernt“. Wie? „Irgendwie hat es hier klick gemacht“, sagt er. Heute schreibt das „Problemkind“ nur noch Einsen und Zweien.

Besarta tat sich anfangs mit dem Thema „Pünktlichkeit“ schwer. In „Ilse“, dem Mitteilungsheft der Hexbach-Schüler für die Eltern, häuften sich damals wohl die Eintragungen. Aber irgendwann nervte es sie doch, dass die Fehlzeiten konsequent nachgeholt werden mussten. Im Praktikum jüngst, jedenfalls, da war Besarta „stets zwanzig Minuten zu früh“.

Hauptschule mit Auszeichnung

2014 zeichnete der Initiativkreis Ruhr Schulleiterin Ulrike Nixdorff mit dem Talent Award aus. Unter anderem, weil überdurchschnittlich viele Absolventen der Hauptschule im Hexbachtal einen Ausbildungsplatz finden.

Im Hexbachtal gelten strenge Regeln, auch was Kleidung und Benehmen angeht. Für Ulrike Nixdorff gründet der Erfolg ihrer Schule jedoch vor allem darauf, dass man hier auf Stärken, nicht Schwächen der Schüler blickt.

Die 14-Jährige gehörte zur Projektgruppe, die den schuleigenen Ruheraum gestaltet hat. „Möbel, Farbe, alles durften wir selbst aussuchen“, erzählt sie, noch immer begeistert. Nur mit dem Budget mussten sie auskommen. 3000 Euro fehlten am Ende dann doch. Die Schüler verkauften selbstgebackene Waffeln, um an Geld zu kommen, der Möbelladen wurde überzeugt, Rabatt zu gewähren, Frau Nixdorff gab den Rest. „Am Ende war’s perfekt“, sagt Besarta.

„Und keiner nannte sie Schlampe“

Und wenn es mal nicht so perfekt läuft? „Unsere Lehrer“, sagt Fabian, „sind immer ansprechbar.“ Selbst für die 16-jährige schwangere Klassenkameradin, der „alle“ zur Abtreibung rieten, die das Baby aber wollte, fand man gemeinsam eine Lösung. „Und niemand nannte sie Schlampe“, sagt Julia.

Klingt zu schön, um wahr zu sein? Auf die Frage nach wenigstens einer schlechten Erinnerung, folgt tatsächlich Schweigen. Langes Schweigen. Dann fällt Enes doch noch etwas ein: Die Sache damals in der Chemie-Stunde, „das war furchtbar“, sagt er und die andern vier nicken. Feueralarm, und die Chemikalien standen auf den Tischen. „Total gefährlich!“ Die Lehrerin jagte die Schüler raus und blieb allein zurück, um das Zeug wegzuschließen. „War nur ein Probealarm“, erzählt Enes. Aber das wusste er ja nicht. „Ich hatte solche Angst um meine Lehrerin.“