Essen. . Hauptschulen kämpfen um ihr Überleben. Wir haben drei Schulleiterinnen aus Duisburg, Essen und Mülheim zum Gespräch eingeladen.
Viele Hauptschulen im Revier kämpfen ums Überleben. Die im Mülheimer Hexbachtal ist dagegen so beliebt wie erfolgreich. Ihre Leiterin, Ulrike Nixdorff, wurde vom Initiativkreis Ruhr jüngst als „Talentförderin“ ausgezeichnet. Doch wie genau macht man das: eine Hauptschule erfolgreich? Und: Lohnt sich der Kampf überhaupt noch?
Redakteurin Ute Schwarzwald sprach mit Ulrike Nixdorff sowie Roswitha Tschüter aus Essen und Anne Kahlert aus Duisburg, zwei weiteren erfahrenen Haupt-, bzw. Sekundarschulleiterinnen.
Zum Konzept der Mülheimer Hexbachschule gehören strenge Kleidervorschriften. Frau Tschüter, Frau Kahlert – sind an Ihren Schulen Jogginghosen noch erlaubt?
Kahlert: Freizeitkleidung geht auch bei uns nicht. Wer etwa meint, er könne bauchfrei kommen, muss eines unserer extra ollen Ersatz-T-Shirts überziehen, Marke Zelt.
Tschüter: Eine Kleiderordnung in dem Sinne gibt es bei uns nicht. Aber allzu freizügig oder Stöckelschuhe sind verpönt.
Nixdorff: Oft kritisieren Eltern, dass wir uns einmischen, empfinden das als Eingriff in ihre Privatsphäre. Trotzdem müssen wir es tun. Wir bereiten die Kinder ja für den Beruf vor. Je mehr Sicherheit wir ihnen geben, angemessen aufzutreten, desto größer sind ihre Chancen auf Erfolg.
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Warum tun sich Hauptschulen damit so schwer: erfolgreich zu sein?
Tschüter: Am gravierendsten wiegt in meinen Augen die fehlende Anerkennung. Weder Politik, noch Presse noch Verwaltung oder Wirtschaft unterstützen uns. Insofern haben unsere Schüler auch kein Selbstvertrauen mehr. Dazu kommt: Wir müssen heute die ganzen sozialen Probleme der Großstädte auffangen. Sprich: Kinder alphabetisieren, die kein Deutsch sprechen und unsere Schrift nicht lesen können; Kinder integrieren, die früher auf Förderschulen gefördert wurden; Rückläufer von Realschulen integrieren, die total frustiert sind. Hätten wir ein Umfeld, das intakt wäre, könnte ich locker vier, fünf Kinder integrieren. Aber wenn es 15 sind in einer Klasse?
Nixdorff: In Mülheim ist die Situation offenbar eine andere. Wir sind vom Schulträger immer unterstützt worden, wir haben eine wunderschöne Schule. . .
Tschüter: Ich bin vor Neid erblasst, als ich das gelesen habe. Bei uns fehlt es immer am Geld!
Nixdorff: . . . aber im Grundsatz haben wir natürlich die gleiche Problematik: Viele Eltern genieren sich vor Nachbarn und Bekannten, ihr Kind an der Hauptschule anzumelden. Aber unter optimalen Bedingungen, mit einem exzellenten Kollegium kann man da schon etwas ausrichten. Wenn die äußeren Umstände dagegen so sind, wie Sie das schildern, Frau Tschüter, verstehe ich, dass sich da Frust aufbaut.
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Tschüter: Was heißt Frust? Unser Kollegium ist klasse. Wir bewegen eine ganze Menge. Bloß der Schulträger tut nicht das Seine dazu. Und die Wirtschaft ist sehr zögerlich. Mit einer Hauptschule wollen die wohl nicht zusammenarbeiten.
Kahlert: Auch Duisburg ist eine schwache Kommune. Auf die Unterstützung etwa der Handwerkskammer aber konnte ich immer bauen. Bei uns waren es die Eltern, die nicht mehr wollten. Von den 19 Hauptschulen, die es vor zehn Jahren in der Stadt gab, sind nur noch drei übrig heute. Und die laufen demnächst aus. Weil sie als „Restschulen“ verstanden werden, wo sich Probleme häufen, wo Bildungsverlierer landen, wo Eltern ihre Kinder nicht anmelden wollen. Perspektivische Untersuchungen zeigten, daran ändert sich auch nichts mehr: Duisburg hat lange diskutiert und dann entschieden, das Ganze zu beenden.
Und Sekundarschulen gegründet. Sie, Frau Kahlert, leiten eine der ersten. Was machen Sie anders?
Kahlert: Sekundarschulen erlauben längeres gemeinsames Lernen. Wir stufen niemanden gleich als Gymnasiasten, Real- oder Hauptschüler ein. Wir sortieren nicht in Schubladen: Du kannst das, du nicht. Alle Schüler lernen gemeinsam im Klassenverband, die Starken unterstützen die Schwachen. Das stärkt beider Kompetenzen. Erst in Klasse 9 wird entschieden: Abitur oder Berufsausbildung. Und verglichen mit der Gesamtschule ist nicht nur unsere Schüler-Lehrer-Relation günstiger. Wir sind auch kleiner, überschaubarer.
Sind Schüler heute schwieriger als früher?
Tschüter: Als ich damals anfing, hatte ich die Schüler, die Sie heute an der Realschule finden. . .
Kahlert: . . .und ich habe vor 30, 40 Jahren Schüler entlassen, die heute Zahnärzte sind. Oder Professor! Aber das Problem sind nicht die Schüler. Es ist das Umfeld, die öffentliche Meinung.
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Tschüter: Der Knackpunkt ist die Familie, denke ich. Wenn die Eltern nicht helfen bei der Berufswahl-Vorbereitung, dann stehen die in Klasse 10 immer noch da und wissen nicht, was sie machen wollen. Also bemühen sie sich gar nicht um eine Lehrstelle, obwohl sie vielleicht eine finden könnten.
Wie steht’s um die Motivation der Lehrer?
Kahlert: Ich kenne eine ganze Reihe von Kollegen, die wollen das nur noch möglichst stressfrei bis zur Rente durchziehen. . .
Nixdorff: Dieser Beruf bindet ja auch enorme Kräfte. Letzte Woche saß ich mit einem Schüler und den Eltern zusammen. Der schrie sie an: Ich hasse Euch! Dann brach er zusammen – das stecken Sie nicht so weg.
Wenn Sie erneut vor der Wahl stünden: Würden Sie wieder Hauptschullehrer werden?
Tschüter: Nein. Ich würde an eine Sekundarschule gehen.
Kahlert: Ich bin der Typ, der gerne an Problemen arbeitet. Aber Hauptschule heute würde ich mir nicht mehr antun.
Nixdorff: Ich würde mir wünschen, dass das System gecancelt wird. Duisburg geht den richtigen Weg.