Mülheim. . Mehr Gelassenheit und Solidarität wünscht sich Inamaria Wronka, eine Sprecherin der Mülheimer Initiative für Toleranz, und setzt auf Begegnung zwischen den Kulturen.

Das Attentat von Paris hat Inamaria Wronka tief bewegt. Kein Adjektiv, das sie abwägt – „barbarisch“, „abscheulich“ –, scheint ihr stark genug. „Ich stehe fassungslos davor.“ Doch ebenso droht sie die Fassung zu verlieren, wenn sie liest, dass Organisatoren der Dresdener Pegida-Demonstration den Angriff zur Bestätigung ihrer Parolen nutzen. Platte Pauschalisierungen und fehlende Solidarität sind für sie die größte Gefahr. Als eine der Sprecherinnen der Mülheimer Initiative für Toleranz (MIT) weiß sie: Auch Mülheimer sind dagegen nicht immun.

Wie tolerant ist Mülheim?

Inamaria Wronka: Mülheim ist kein kleines gallisches Dorf, keine Insel der Glückseligkeit. Auch hier gibt es Menschen, die NPD oder Pro NRW wählen, auch wenn keine der Parteien es je in den Stadtrat geschafft hat. Ich merke, dass die Toleranz geringer wird, je konkreter es wird. Es gibt Mülheimer, die sich nicht wohlfühlen, wenn eine Moschee in ihrer Nähe ist. Das hat sich in Styrum und in der Heimaterde gezeigt, aber auch, als die islamische Gemeinde das Gebäude der Landeszentralbank kaufen wollte.

Wie erleben Sie die Stimmung zwischen den Kulturen in der Stadt?

Wronka: Es gibt an vielen Stellen eine gute interkulturelle Zusammenarbeit, die selbstverständlich ist. Das Jugendzentrum Stadtmitte ist ein Beispiel; die machen tolle Arbeit.

Die Unterbringung von Flüchtlingen trieb im vergangenen Jahr Mülheimer um. In Broich und in Styrum waren Anwohner zunächst sehr kritisch. . .

Wronka: Da ist etwas passiert, dass an Pegida erinnert. Besonders in Styrum gab es viel Unmut, der vor allem gegen die Stadt gerichtet war. Die Styrumer fühlten sich schlecht informiert. Da war viel ungewiss, und es gab viel Unsicherheit. Inzwischen arbeiten wir eng mit dem Nachbarschaftsverein zusammen, SWB wird einen Bolzplatz für alle Styrumer Jugendlichen errichten. Ich bin überzeugt: Je besser man sich kennt, desto weniger greifen Pegida-Plattitüden. Ich möchte das nicht abwerten – 18 000 sind eine ganze Menge Menschen, eine ganze Menge zu viel. Aber im Ruhrgebiet gibt es mehr Leute, die anderen Religionen begegnen. Wenn sie die Kinder im Kindergarten abholen. Wenn sie bei Siemens auf Schicht gehen. Dieses Kennenlernen hilft der Toleranz.

Ist das in Broich passiert, wo die anfängliche Ablehnung eines Flüchtlingsheims letztlich in großes Engagement umschlug?

Wronka: Ja. Da haben sich Leute gefunden, die in das Haus gegangen sind und gemerkt haben: Okay, die Leute haben ganz andere Erfahrungen, die sind nicht wie du und ich, aber das sind Mütter und Väter, die sich um ihre Kinder sorgen. Das sind Familien, die Traumatisches erlebt haben, die trauern, und denen man mit einer Winterjacke, dem Ausfüllen eines Formulars und einem freundlichen Wort helfen kann. Und das passiert gerade auch in Styrum. Wenn Herr Hartmann von der AfD da abwertend von „Gutmenschentum“ spricht, ist das Blödsinn. Es ist nicht so, dass alles perfekt ist, aber auch das wird thematisiert. Den Ängsten – dass es die gibt, habe ich bei der Diskussion um die Moschee gemerkt – muss man Fakten entgegensetzen.

Wie schätzen Sie Pegida ein?

Wronka: Die Leute hinter den Pegida-Demonstrationen sind ausländerfeindlich. Wenn ich an einer Veranstaltung teilnehme, die von solchen Leuten einberufen wurde, weiß ich, was ich da tue. Abgesehen davon: Viel von dem, was Pegida fordert, ist mir zu unspezifisch. In deren Thesenpapier steht nichts drin oder sie wiedersprechen sich. Einerseits wollen sie sich für sexuelle Mitbestimmung einsetzen; drei Punkte weiter steht: Den ganzen Gender-Mist wollen wir nicht.

Welche Gründe sehen Sie für diese Bewegung?

Wronka: Viele Leute sind verunsichert – und das hat nichts mit dem Islam zu tun. Ihnen geht es nicht gut und die Suche nach einem Sündenbock scheint in unserer Geschichte verankert zu sein. Wenn es Menschen nicht gut geht, dann muss das thematisiert werden – rational. Die Idee, den Islam aus Deutschland zu verbannen, ist nicht rational und auch nicht reflektiert. In meinem Leben ändert sich nichts, wenn alle Muslime oder Journalisten ausgewiesen werden – weil sie keinen direkten Einfluss auf mein Leben haben. Es ändert nichts daran, dass ich etwa eine alleinerziehende Mutter mit Hartz IV bin und an die Grenzen dessen komme, was menschenwürdig ist. Wir müssen dem Populismus gemeinsam entgegentreten. Mich stören die Kommentare in Internet-Foren, die einfach unbewiesene Behauptungen verbreiten. Da, wo es Kriminalität und Verbrechen gibt, muss man die Mechanismen unseres Rechtsstaats anwenden. Es darf in meinem Land keine unterschiedliche Rechtsprechung geben, je nachdem, wie meine Religion oder Hautfarbe ist – und das in beide Richtungen.

Wird der Anschlag in Paris, aber auch der Terror des IS und von Boko Haram genutzt, um Rassismus zu legitimieren?

Wronka: Es dient als Rechtfertigung, ja. Solche Verbrechen führen dazu, dass die Leute sich in ihren Thesen bestätigt fühlen. Natürlich gibt es überall, auch in unserer Stadt, Menschen, die sich radikalisieren können. Einen absoluten Schutz gibt es gegen den Terror nicht. Aber deswegen kann ich nicht in Angst leben. Muslime sind in ihrem Glauben so unterschiedlich wie es die Menschen in allen anderen Religionsgemeinschaften auch sind.

Wird Islam und Islamismus zu wenig differenziert?

Wronka: Es wird grundsätzlich zu viel in einen Topf geworfen. Flüchtlinge sind nicht gleich Asylbewerber und Asylbewerber sind nicht gleich Moslems. Das Pauschalisieren ist eine Gefahr, und die muss man aufbrechen. Da nehme ich die Moscheevereine und islamischen Gemeinden in die Pflicht, sich zu öffnen. Allerdings muss es dann auch angenommen werden: Beim letzten Tag der offenen Moschee war genau ein Besucher da. Alle müssen eine Schwelle überschreiten. Die permanente Rechtfertigung, die von Muslimen gefordert wird, halte ich übrigens für Quatsch. Nach dem Breivik-Attentat in Norwegen musste sich auch kein Christ dafür entschuldigen.

Was wünschen Sie sich?

Wronka: Mehr Gelassenheit, Toleranz und Solidarität. Wir dürfen keinen Keil zwischen uns treiben lassen. Unsere Realität verändert sich, unsere Gesellschaft ist heute bunter. Darauf muss man sich einstellen und es als Chance begreifen.