Mülheim. Pascha Selman (40) ist 1995 als Flüchtling nach Mülheim gekommen. Wegen ihres Willens, die deutsche Sprache möglichst schnell zu lernen, ist die engagierte Ehrenamtlerin weit gekommen – trotz vieler Tiefpunkte in Ihrem Leben.
Pascha Selman setzt die Tasse mit bosnischem Mokka ab, um sich eine Träne von der Wange zu wischen. Die Bosnierin hat Schreckliches erlebt, aber es sind keine Tränen des Schmerzes. Pascha Selman weint vor Glück. „Es war der schönste Moment in meinem Leben, als ich meine Eltern und meinen Bruder nach sechs Monaten wiedergesehen habe“, erinnert sie sich. Dabei dachte sie, ihre Geliebten wären verschollen, den Jugoslawienkriegen zum Opfer gefallen.
Denn als Pascha Selman im April 1992 zur Anfangszeit des Bosnienkrieges zusammen mit ihren zwei Schwestern aus ihrem Heimatort Ključ nach Slowenien flüchtete, blieben ihre Eltern und ihr Bruder zurück. Jungen ab 16 Jahren wurden von den Serben zwanghaft in Bosnien und Herzegowina gehalten. Doch dann schafften es Mutter, Vater und der Bruder doch über die Grenze. „Ich hätte nie gedacht, dass ich sie noch einmal wieder sehe.“
Neubeginn in Slowenien?
In Bosnien ließ die Familie einen großen Bauernhof zurück. „Wir hatten ein gutes Leben“. Aber als der Krieg ausbrach, waren die Selmans als muslimische Familie besonders bedroht. Sie mussten flüchten. Flüchten vor einem Schicksal, das bereits Bekannte und Familienmitglieder erlitten hatten, die bei lebendigem Leibe verbrannt oder begraben wurden.
Im slowenischen Trbovlje ging es zunächst bergauf. Pascha Selman fand sich schnell zurecht, lernte die Sprache innerhalb weniger Monaten. Aber ihr Vater fand keinen Job, wollte sein Glück in Deutschland versuchen, wo er schon in den Siebzigern als Schreiner arbeitete.
So kamen die Selmans 1995 nach Mülheim, wo sie als Kriegsflüchtlinge Asyl erhielten. Pascha Selman fing wieder bei Null an, ohne Sprachkenntnisse, mit „Kakerlaken in Wohncontainern“. Aber die damals 19-Jährige blieb ehrgeizig. „Man muss sich anpassen“ ist bis heute ihr Motto. „Dann erlebt man kaum Fremdenfeindlichkeit“.
Sprache als Schlüssel zum Erfolg
Also besuchte Pascha Selman einen Intensiv-Deutschkurs an der VHS. Von anderen Flüchtlingen wurde sie deswegen belächelt. „Viele dachten, es sei nur wichtig, Geld heranzubringen“. Für sie war die Sprache der Schlüssel zum Erfolg: Dank ihrer guten Deutschkenntnisse erwarb sie eine Anstellung im Dialogmarketing. Sie konnte in eine eigene Wohnung ziehen und ihre heute 18-jährige Tochter Medina wurde geboren. Pascha Selman war glücklich. Kurz.
Denn ihr Leben – mag es auch klischeehaft klingen – ist eine Achterbahnfahrt. Es erwartete sie das nächste Tief, eine „traumatisierende“ Familientragödie, über die sie nicht gerne spricht. Als ihr Sohn Fazlin vor fünf Jahren geboren wurde und sie einen neuen Mann kennenlernte, kam aber auch dieses Kapitel zum Ende. Eine bezahlte Arbeit hat Pascha Selman seitdem nicht finden können. Ihre Vollzeitstelle ist ihr Ehrenamt.
Genug Ideen für die Zukunft
Als Dolmetscherin hilft sie Flüchtlingen bei der Bewältigung ihres neuen Alltags in Deutschland. Auch sammelt sie regelmäßig Sachspenden für ihr Heimatland. „Jedes Mal, wenn ich Bosnien besuche, habe ich den Kofferraum voller Geschenke“, erzählt sie. Als viele Teile Bosniens im Mai dieses Jahres überschwemmt wurden, konnte sie gar einen ganzen Transporter voller Kleidung für die leidenden Bosnier zusammenbekommen. „Zu meinem 40. Geburtstag habe ich mir nichts gewünscht außer Geld für Bosnien“.
Bald aber will Pascha Selman wieder über ihr Ehrenamt hinaus arbeiten. Die Dolmetschertätigkeit professionalisieren? Zurück zum Dialogmarketing? Oder selbstständig machen mit einem „Tante Emma Laden mit bosnischen Produkten“? Pascha Selman hat jedenfalls genug Ideen für die Zukunft parat. Ihr unermüdlicher Ehrgeiz wird ihr einen Weg bereiten.