Mülheim. Das multinationale Künstlerkollektiv Andcompany & Co. tritt mit „Orpheus in der Oberwelt – eine Schlepperoper“ am Samstag im Ringlokschupen auf. Das Stück vermischt Opernmusik mit griechischer Mythologie und gibt Denkanstöße zur Asylproblematik. Alexander Karschnia vom Kollektiv im Interview.
Zu einem „Friedhof der illegalen Einwanderer“ sind die europäischen Außengrenzen verkommen. So sieht es das Künstlerkollektiv Andcompany & Co, die bekannt sind für Spielerein mit politischem Zündstoff. Um seine Botschaft zu verbreiten, hat das in Frankfurt gegründete Ensemble in seinem Stück „Orpheus in der Oberwelt – eine Schlepperoper“ jedoch nicht das Mittelmeer als Schauplatz gewählt, wo Tragödien an Orten wie Lampedusa die Schlagzeilen bestimmen. Sondern führen die Künstler zur griechisch-türkischen Grenze an Evros. Durch das Gewässer floss schon das abgetrennte Haupt von Orpheus, Protagonist des Stücks und Prominenz aus Monteverdis Ur-Oper „L’Orfeo“, an der sich die „Schlepperoper“ musikalisch bedient. Was es mit der Vermischung von Mythologie und Asylproblematik auf sich hat, hat der künstlerische Leiter Alexander Karschnia im Gespräch mit Gordon Wüllner erklärt.
Das ehrenamtliche Engagement für Flüchtlinge ist in Mülheim groß. Wird das Publikum für Ihr neues Stück besonders empfänglich sein?
Alexander Karschnia: Das hoffe ich. Ich habe bereits gehört, dass den Leuten das Thema in Mülheim unter den Nägeln brennt. Deswegen machen wir auch ein Publikumsgespräch nach der Aufführung. Ich finde erstaunlich, dass die Leute hier so viel Solidarität zeigen. Jenseits der medialen Darstellung – wo man oft von Rechten und Dörfern hört, die Kampagnen gegen Flüchtlinge starten – wollen eben doch viele Leute helfen.
Das Stück ist sehr bunt. Wie passt das zu der sehr tristen Thematik?
Karschnia: Wir wollen nicht auf das Tragische setzten, sondern Perspektiven bieten. Bei der Asylthematik war uns das besonders wichtig. Denn viele versuchen sich immer nur in das Elend der Flüchtlinge hineinzuversetzen. Dabei wissen wir doch alle längst, dass Kinder im Mittelmehr ertrinken und es den Leuten elend geht. Viel sinnvoller als der Versuch, sich in die Menschen hineinzuversetzen, fanden wir die Thematik des Schleppers anzugehen. Die geht uns alle etwas an, wir alle könnten Schlepper sein.
Der Begriff des „Schleppers“ ist sehr negativ besetzt...
Karschnia: Aber das war nicht immer so, gerade in Deutschland nicht. Als die Mauer fiel gab es kommerzielle Fluchthelfer. Das waren die Heldenfiguren des Westens. Aber die Politik hat den Spieß umgedreht. heute werden Schlepper als kriminelle Helfer gesehen, vor denen man die Flüchtlinge schützen muss. Dabei brauchen die Leute nur die Hilfe von den Schleppern, weil sich Europa abschottet.
Termindaten zur „Schlepperoper“
Im Ringlokschuppen treten Andcompany & Co mit ihrem neuen Stück „Orpheus in der Oberwelt“ am Samstag, 8. November, um 20 Uhr auf. Karten unter 99 316 0.
Andcompany & Co haben sich im Jahr 2003 gegründet. Die Gründungsmitglieder sind Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma.
Wie ist Ihnen die Idee für das Stück gekommen?
Karschnia: Wir waren mit dem griechischen Nationaltheater in Soufli, am Fluss Evros zur türkischen Grenze. Dort gibt es ein Militärsperrgebiet ist, wo bis heute ungesicherte Mienen vergraben sind. Dieses Mienenfeld ist eine tödliche Falle für alle, die über die Türkei nach Europa wollen. Andere sind im Fluss Evros ertrunken. Dann ist mir aufgefallen, dass ich den Fluss schon aus der Mythologie kannte. Orpheus wurde zerrissen und in den Fluss geworfen. Das hat mich zum Nachdenken gebracht über Europa und seine Mythen. Es ist schon verwunderlich, dass genau an diesem Fluss so viele Tragödien passiert sind.
Thrakien ist auch ein Vogelparadies. Die Tiere können problemlos von Land zu Land wandern. Sollten das Menschen auch dürfen?
Karschnia: Ja, wir sollten Migration viel mehr als etwas Natürliches sehen. Es gab zwar immer Schwellenräume, aber feste Grenzen sind ein recht neues Produkt der Menschengeschichte. Erst in der Kolonialzeit bezeichnete man Völker ohne feste Grenzen als unzivilisiert.