Herne. . Das Wanne-Eickeler Busreiseunternehmen Anton Graf bietet nicht nur eigene Touren an, sondern fährt auch im Auftrag der Münchener Firma FlixBus Fernreise-Linienbusse. WAZ-Mitarbeiterin Jennifer Kalischewski machte die Probe und fuhr mit einem dieser Busse von Essen nach Kassel und wieder zurück.
Immer mehr Menschen nutzen für weite Fahrten innerhalb Deutschlands Fernreise-Linienbusse. Seit der Liberalisierung des Personenbeförderungsgesetzes vor fast einem Jahr sind die Zahlen der innerdeutschen Verbindungen und der Buslinien-Anbieter rasant angestiegen. Auch Busse und Fahrer des Herner Unternehmens Anton Graf kurven quer durch Deutschland. Seit Oktober sind sie für das Münchener Unternehmen FlixBus im Einsatz. Die WAZ begleitete eine Tour von Essen nach Kassel.
Die Abfahrt an der Reisebushaltestelle hinter dem Essener Hauptbahnhof verzögert sich um wenige Minuten. Den drei Fahrgästen, die in Essen in den fast leeren Bus einsteigen, scheint dies wenig auszumachen. Der 26-jährige Essener Philosophiestudent Reinhold ist einer von ihnen - und sozusagen Fernreisebus-Profi. Von Essen aus sei er aber noch nie gestartet. „Eine Zeit lang bin ich die Strecke zwischen Leipzig und Berlin regelmäßig gefahren“, erzählt er.
Enormer Preisunterschied
Über Weihnachten besucht er seine Familie in Leipzig. Eigentlich sei er Bahnfan. „Den günstigeren Preis für den Bus sehe ich als Entschädigung dafür, dass der Bus nicht ganz so komfortabel ist.“ Der Preisunterschied ist enorm. Während der Normalpreis mit dem ICE für die Fahrt Essen – Leipzig zwischen 92 und 142 Euro liegt, ist ein Busticket schon für 18 Euro zu haben. Dafür dauert die Busfahrt planmäßig etwa anderthalb Stunden länger.
Ohne umzusteigen
Anne und Hajo Übel aus Göttingen schätzen hingegen auch den Komfort der Busse. „Man sitzt bequem und muss nicht umsteigen“, sagt Anne Übel. „Wir hätten auch mit dem Auto fahren können, aber so kostengünstig wie mit dem Bus ist das gar nicht machbar“, ergänzt ihr Mann. „Das, was wir bei der Fahrt gespart haben, konnten wir ins Hotel investieren.“ Mit 74 und 79 Jahren sind die beiden der Beleg dafür, dass längst nicht nur junge Leute mit dem Bus fahren.
Snack- und Getränkebar
Übels genießen die Fahrt sichtlich. Sie sitzen entspannt zurückgelehnt in der ersten Reihe und plaudern mit Busfahrer Markus Nöchel (48), der den Bus wegen Ruhezeit-Vorschriften auf dem Parkplatz der Autobahnkirche Ruhr in Bochum übernimmt. Der Bus gleitet weiter über die A 40. Die ersten Fahrgäste holen ihre Butterbrote heraus oder bedienen sich an der Snack- und Getränkebar, surfen via Bus-W-Lan im Internet, lesen oder schlafen. Reinhold wechselt in die letzte Reihe des Busses, genervt von der dauertelefonierenden jungen Frau in der Reihe hinter ihm. Kein Problem, denn die Plätze sind nicht einmal bis zur Hälfte belegt.
Mitte November gestartet
„Am Wochenende ist es voller“, weiß Nöchel. Der Busfahrer vermutet, dass die Fahrgastzahl mit der Zeit noch wachsen werde. Die Strecke Düsseldorf – Dresden mit Halt in Essen, Kassel, Göttingen und Leipzig ist erst Mitte November gestartet.
Mit einer 15-minütigen Verspätung erreicht der FlixBus schließlich Kassel. „Ein bisschen Reservezeit ist eingeplant“, sagt Nöchel. „Ab und zu schafft man es, Verspätung wieder gutzumachen, wenn nicht so viele Lkw unterwegs sind und man schön die ganze Zeit mit 100 fahren kann.“
Eine Verdreifachung des Reiseangebots und doppelt so viele Städte-Fernbuslinien verzeichnet der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (BDO) seit der geänderten Gesetzeslage zum 1. Januar 2013.
Aus 5100 Fahrten innerhalb Deutschlands können Reisende aktuell pro Woche wählen. Das entspricht einer Steigerung von 230 Prozent im Vergleich zum Jahresbeginn.
Die größten Anbieter, gemessen an angebotenen Fahrplankilometern sind: MeinFernbus mit einem Marktanteil von 39,7 Prozent, Busse der DB AG (21,7 Prozent), FlixBus (14,8 Prozent), ADAC Postbus (7,5 Prozent) und city2city (4,8 Prozent).