Herne. Vor zehn Jahren wütete das Unwetter Ela in Herne, Tausende Bäume fielen um. Wie wären die Schäden heute bei einem ähnlichen Sturm?

Hernes schlimmster Strum: Vor zehn Jahren wütet der Pfingststurm Ela. 3000 Stadtbäume - „auf einen Rutsch weg“, sagt Stadtgrün-Chef David Hucklenbroich. Diese Stadt trifft es besonders hart: „Herne zählt zu den stark betroffenen Kommunen.“ Auf den Straßen herrscht ein Bild der Verwüstung: Bäume und abgeknickte Äste liegen auf Wegen und Straßen, beschädigen Häuser und Autos. Dächer werden abgedeckt, Zäune umgeschmissen. Es ist so schlimm, dass auch die Feuerwehr erst mal zuschauen muss. Glück im Unglück: „Es gab keine Schwerverletzten und keine Toten“, schaut Feuerwehrchef Marco Diesing zurück.

In die Geschichte geht Ela als Pfingststurm oder Pfingstunwetter ein. Es überzieht am 9. und 10. Juni 2014 mehrere Bundesländer. Auch NRW, das Ruhrgebiet und mittendrin Herne sind stark betroffen. Zwar sei die Feuerwehr vorgewarnt gewesen, sagt ihr Leiter Diesing. Aber die Wucht, die Ela in ganz kurzer Zeit entfaltet, überrascht alle. Zum ersten Mal in der Geschichte der Herner Feuerwehr, berichtet er, müssen die Einsatzkräfte in den Wachen ausharren. Raus dürfen sie nur, wenn unbedingt nötig. Auch einen Krisenstab richtet die Stadt nicht ein: Treffen wären viel zu gefährlich. Im Auge des Sturms gilt die Devise: erst mal abwarten.

Herne: 60 Menschen müssen aus Zug evakuiert werden

Bäume knicken auf Häuser und Autos - so wie hier an der Kastanienallee.
Bäume knicken auf Häuser und Autos - so wie hier an der Kastanienallee. © WAZ | Tobias Bolsmann

Diese Strategie sei die richtige gewesen: „So sind wir gut aus der Lage herausgekommen“, sagt Feuerwehrchef Diesing. Einsätze fahren die Kolleginnen und Kollegen - unterstützt von der Freiwilligen Feuerwehr, aber auch vom Technischen Hilfswerk und Deutschen Roten Kreuz - dann bald ohne Unterbrechung. Fast 250 Einsätze zählt allein die Feuerwehr. Überall springen Brandmeldeanlagen an, nur „mit kleinem Besteck“ wird nachgeschaut, ob es wirklich brennt. Nirgendwo ist das der Fall. In Wanne-Eickel aber ist ein Zug stehen geblieben, 60 Menschen müssen evakuiert und versorgt werden. Da ist „großes Besteck“ erforderlich.

Und dann, endlich, geht‘s ans Aufräumen. Bürgerinnen und Bürger sprechen vom „Kettensägen-Massaker“: Nach und nach befreien die Einsatzkräfte die wichtigsten Straßen und Wege von Tausenden Ästen und Bäumen, während Bürgerinnen und Bürger zu Hause notdürftig das wegräumen und flicken, was nötig ist. Tagelang dauern die Arbeiten an. Die Feuerwehrleute, 300 an der Zahl, seien schließlich am Limit gewesen, sagt Diesing. Denn: Unterstützung von außerhalb, wie sonst üblich, gibt es diesmal nicht. Alle Städte müssen zusehen, wie sie alleine klarkommen.

Er und seine Kolleginnen und Kollegen arbeiteten bei Ela am Limit: Hernes Feuerwehr-Chef Marco Diesing.
Er und seine Kolleginnen und Kollegen arbeiteten bei Ela am Limit: Hernes Feuerwehr-Chef Marco Diesing. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Nach und nach wird das ganze Ausmaß der Schäden sichtbar. 3000 Stadtbäume, also Bäume an Straßen, in Parks und auf weiteren öffentlichen Flächen, fallen Ela zum Opfer. Das sind sechs Prozent der Stadtbäume. In den Wäldern vor Ort werden weitere 1200 Bäume vernichtet. Die Aufräumkosten bei der Stadt belaufen sich auf mehrere Millionen Euro. Dass plötzlich so viele Bäume fehlen, hat Folgen für die Natur. Stadtgrün-Chef Hucklenbroich spricht von einem „großen Verlust für Flora und Fauna“. Vögel verlieren Nistmöglichkeiten, Photosynthese wird in der Stadt eingeschränkt.

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Und dann wird nachgepflanzt. Hunderte Bäume sind es in den Jahren nach Ela. „Eins zu eins“ hätten die zerstörten Bäume aber nicht ersetzt werden können, so der Stadtgrün-Chef. Nicht alle Stellen, an denen Bäume gestanden hätten, seien dafür geeignet. Er betont aber: Die Stadt habe „das maximale Potenzial nachgepflanzt“. Das sehe man heute, zehn Jahre später: Ela-Schäden seien für Otto Normalverbraucher nicht mehr sichtbar, die Stadt sei grün.

Großer Verlust für Flora und Fauna: David Hucklenbroich, Leiter des städtischen Fachbereichs Stadtgrün.
Großer Verlust für Flora und Fauna: David Hucklenbroich, Leiter des städtischen Fachbereichs Stadtgrün. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Und: Die Verwaltung habe gelernt. Vor Ela seien viele Bäume angepflanzt worden, die nicht so tief wurzeln und die nicht so widerstandsfähig gegen Trockenheiten sind. Auch habe die Stadt früher auf vergleichsweise wenige Baumarten gesetzt. Ela-Opfer seien vor allem Ahorn-Bäume, Linden, Birken, Platanen, Pappeln und Robinien gewesen, heute pflanze die Stadt auch „Klimabäume“ wie Amberbäume und Zerreichen, außerdem setze sie auch auf andere Arten, also nicht nur auf Bergahorn, sondern auch auf Spitz- oder Feldahorn. So habe Ela durchaus auch positive Seiten: In Zeiten des Klimawandels sei der Baummix angepasst worden. Wenn wieder so eine Katastrophe wie das Pfingstunwetter über Herne hereinbreche, dann sei die Stadt durch den neuen Baummix besser gewappnet, sagt der Stadtgrün-Chef. Dennoch: „Auch dann werden Bäume umfallen.“

Büchereipark: WAZ-Leser spenden für Aufforstung

Im „Büchereipark“ gegenüber dem Rathaus Wanne reißt Ela fast alle Bäume um.
Im „Büchereipark“ gegenüber dem Rathaus Wanne reißt Ela fast alle Bäume um. © Stadt Herne

Auch diese Geschichte gehört zu Ela. Viele, viele Bürgerinnen und Bürger packen nach Ela an, helfen Nachbarinnen und Nachbarn, engagieren sich im Verein, starten Initiativen oder spenden Geld. Die WAZ ruft in Kooperation mit dem Naturschutzbund (Nabu) die Aktion „WAZ pflanzt Bäume“ ins Leben und bittet Leserinnen und Leser, für Neupflanzungen zu spenden. Die lassen sich nicht lumpen: Revierweit beteiligten sich 1700 Menschen und geben insgesamt 200 000 Euro. 12 000 Euro davon, so entscheidet eine Jury, werden Herne zur Verfügung gestellt.

Von diesem Geld wird unter anderem der „Büchereipark“ gegenüber dem Rathaus Wanne aufgeforstet. Ela hat die schöne, kleine Allee zwischen Rathaus- und Claudiusstraße vernichtet, fast alle Ahorn- und Kirschbäume sowie Eichen in dem Park sind entwurzelt. Stadtgrün-Azubis pflanzen 2015 knapp 40 Vogel- und Zierkirschen - es sind am Ende mehr Bäume als vorher. Und sie hätten sich prächtig entwickelt, sagt Stadtgrün-Chef Hucklenbroich.

Prächtig entwickelt haben sich die neuen Bäume im „Büchereipark“ in Wanne.
Prächtig entwickelt haben sich die neuen Bäume im „Büchereipark“ in Wanne. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

>> Kritik vom BUND: Stadt pflanzt zu wenig

Also alles gut? Nein, sagt Ingrid Reckmeier, Vorsitzende des Umweltschutzverbandes BUND in Herne. Sie schüttet Wasser in den Wein. Die Stadt Herne forste viel zu wenig auf, kritisiert sie mit Verweis auf die letzte Baumbilanz. Wegen des Klimawandels kämen solche Extreme wie der Sturm Ela, aber auch Hitze und Starkregen, in Zukunft häufiger über die Stadt. Dagegen, meint sie, helfen nur Grün und Freiflächen. Das sei im Rathaus, aber auch bei er politischen Mehrheit noch nicht angekommen. Viel zu viel werde in Herne bebaut, künftig auch auf der Blumenthal-Brache und im Funkenberg-Quartier, kritisiert Reckmeier.