Bochum/Herne. Nach mutmaßlich groben Fehlern in einer Herner Klinik muss einem Krebspatienten ein Bein amputiert werden – jetzt geht es um Schmerzensgeld.

Ein folgenschwerer Therapieaufenthalt vor mehr als vier Jahren in einer Herner Klinik beschäftigt jetzt das Bochumer Landgericht. Ein krebskranker Familienvater (35) aus Herne verlor damals ein Bein. Jetzt klagt er auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro und mehr. Denn er und seine Herner Rechtsanwältin Sabrina Diehl sind fest davon überzeugt: „Das hätte nicht sein müssen“.

Rückblick: Im Januar 2020 war beim Herner im Uni-Klinikum-Münster eine Tumorerkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule diagnostiziert worden. Rund zwei Monate später folgte der Schock, der das Leben des technischen Handwerkers für immer veränderte: Ihm musste das rechte Bein amputiert werden. Es soll die vorherige Behandlung in einer Herner Klinik gewesen sein, die sich für den Patienten zu einem Albtraum entwickelte: Denn dort, so legten sich am Mittwoch, 24. April, vor der 6. Zivilkammer jedenfalls zwei medizinische Sachverständige fest, sollen den Herner Ärzten gleich mehrere „grobe Behandlungsfehler“ unterlaufen sein. Gängige medizinische Standards seien nicht angewendet worden. Obendrein sei der Patient nicht ausreichend informiert worden, hieß es.

Plötzlich war ein Puls in dem Bein schon nicht mehr tastbar

Das war passiert: Nach der Krebsdiagnose durchlief der Herner ab März 2020 in der Klinik eine ambulante Chemo- und Strahlentherapie. Nach nur wenigen Tagen sollen Komplikationen aufgetreten sein. Am 9. März 2020 soll der Familienvater Ärzten gegenüber erstmals über Schmerzen im rechten Unterschenkel geklagt haben. Doch es kam ihm vor, als nehme man ihn nicht ernst.

Nach mehreren, stundenlangen Aufenthalten in der Notaufnahme diagnostizierte die Gefäßchirurgie der Klinik bei dem Kläger nur fünf Tage später „eine kalte rechte untere Extremität“. Ein Puls war in dem Bein angeblich schon nicht mehr tastbar. Wichtige Gefäße waren offenbar verschlossen. Daraufhin folgten zwei Operationen. Weil sich die Durchblutungsstörungen und Schmerzen im Bein aber dadurch nicht beseitigen ließen, wechselte der Herner auf eigenen Wunsch in eine Klinik in Dortmund. Dort wurde der dramatische Befund bestätigt. Alle Rettungsversuche schlugen fehl, am 24. März 2020 kam es dort zur Beinamputation.

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Heute ist der Herner auf eine Beinprothese angewiesen. Die, die er hat, funktioniert aber mehr schlecht als recht. Und die er gerne hätte, die bezahlt seine Krankenkasse nicht. Ein Teufelskreis. Auch leidet er unter Phantomschmerzen. „Ab und zu habe ich das Gefühl eines Wadenkrampfes. Dann liege ich da, schaue nach unten und da ist nichts mehr“, berichtete er vor Gericht.

Experte: Operationsstrategie war „unverständlich“, „unvollständig“ und „inkonsequent“

Die Kritik der beiden medizinischen Sachverständigen an der Behandlung in der Herner Klinik konzentrierte sich auf die Nichtgabe von gerinnungshemmenden Medikamenten spätestens mit Beginn der Chemotherapie. Es sei davon auszugehen, dass allein durch eine bloße Prophylaxe mit „ASS 100“ oder Heparin das Thromboserisiko „signifikant gesunken“ wäre, hieß es. Die Erfolgschancen für ein Behalten seines Beines hätte jedenfalls mehr als 50 Prozent betragen. Obendrein, so einer der Experten, sei aber auch die Operationsstrategie in der Herner Klinik als „unverständlich“, „unvollständig“ und „inkonsequent“ zu beanstanden. Dringend erforderliche, operative Maßnahmen am Unterschenkel seien trotz hochgradiger Verdachtsmomente schlichtweg ausgeblieben. „Das Vorgehen ist mir völlig schleierhaft“, kritisierte der Gutachter.

Aufseiten der beklagten Klinik ist man der Auffassung, die Behandlung des Patienten sei fachgerecht erfolgt. Von Behandlungsfehlern könne keine Rede sein.

In Vergleichsverhandlungen traten Kläger und Beklagte gar nicht ein. Die 6. Zivilkammer will nun am 15. Mai ein Urteil verkünden.