Herne. Die Islamische Gemeinde Röhlinghausen hatte einen prominenten Gast beim Fastenbrechen in Herne. Der fand deutliche Worte zur politischen Lage.

Es gibt Sätze, die bleiben im Gedächtnis, dieser zählt sicher dazu: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Ausgesprochen hat ihn vor 14 Jahren Christian Wulff als damaliger Bundespräsident. Dieser Satz löste heftige Diskussionen aus und wirkt bis heute nach. So besitzt Wulff eine hohe Achtung in der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland. Kein Wunder, dass Tuncay Nazik, Vorsitzender der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen, „sehr stolz“ war, dass er Christian Wulff (64) am Mittwochabend beim interreligiösen Fastenbrechen in Herne begrüßen konnte.

Wulff begnügte sich selbstverständlich nicht mit einem gemeinsamen Abendessen, im Gemeindezentrum der evangelischen Gemeinde nahm er ausführlich Stellung zu den aktuellen aufgeheizten Debatten und machte klar, dass er auch in dieser Phase keinen Millimeter von seinem Satz abweicht.

Die Ausführungen von Christian Wulff stießen auf viel Interesse bei den Gästen.
Die Ausführungen von Christian Wulff stießen auf viel Interesse bei den Gästen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Die Brückenbauer hätten es zurzeit schwer, so Wulff, „deshalb müssen wir das Miteinander ausfüllen, nicht nur das Nebeneinander. Wir müssen das Gemeinsame suchen.“ Wulff ging auch auf die wachsende Juden- und Islamfeindlichkeit in Deutschland ein. Sein Satz, „Der Islam gehört zu Deutschland“ habe Muslimen das Gefühl gegeben, dass sie voll und gleichberechtigt in der Gesellschaft anerkannt seien. Dies sei ihm in den 14 Jahren seit dem Aussprechen dieses Satzes immer wieder gespiegelt worden.

„Nie wieder“ ist ein Auftrag, den jede Generation an die nächste weitergeben muss

Doch es gebe Menschen, die differenzieren wollten - nach Herkunft, nach Aussehen, nach Religion oder anderen Kriterien. „Wir müssen verhindern, dass jemals wieder sich ein Deutscher vor anderen Deutschen verstecken oder fürchten muss“, so Wullf. Das „Nie wieder“ sei ein Auftrag, den jede Generation an die nächste weitergeben müsse. Rassistisches Gedankengut dürfe niemals wieder in Deutschland zugelassen werden. Und wenn Björn Höcke von der AfD Nazijargon benutze, dann seien alle in der Auseinandersetzung gefordert, die nun bevorstehe. Religionen hätten große Potenziale zur Lösung von Konflikten, zur Sicherung des gesellschaftlichen Friedens und zur Stabilisierung der Demokratie. Religionen lüden ein zum Miteinander, und sie stärkten die Demokratie, weil sie Begegnung ermöglichten.

Samuel Gümüs, Dekan der syrisch-orthodoxen Gemeinde Herne, sprach ein Gebet in aramäischer Sprache.
Samuel Gümüs, Dekan der syrisch-orthodoxen Gemeinde Herne, sprach ein Gebet in aramäischer Sprache. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Wulff wies auf das Grundgesetz hin, das im Mai 75 Jahre alt werde. Aus ihm atme das Ziel, dass es nie wieder Nationalismus geben dürfe, nie wieder Kampf gegen Minderheiten. Umso verwunderlicher sei es, dass man wieder von Hass und Feindseligkeit gegen Minderheiten höre. Wulff: „Einheit in Vielfalt ist der viel bessere Weg als Einfalt. Wir sind alle verschieden, und das macht den Reiz unseres Zusammenlebens aus.“

Deutschland hätte größte Probleme ohne Menschen mit Migrationshintergrund

Vor dem Hintergrund von Deportationsfantasien wies Wulff darauf hin, dass die Menschen mit Einwanderungsgeschichte einen großen Beitrag für Deutschland leisteten und dafür große Anerkennung verdienten. Wenn alle Menschen mit Einwanderungsgeschichte zwei Tage die Arbeit niederlegen würden, gäbe es größte Probleme, denn viele würden auf den Pflegestationen, in den Krankenhäusern, Arztpraxen, Apotheken und in vielen anderen lebenswichtigen Bereichen arbeiten. Und in der Bundeswehr gebe es 5000 muslimische Soldatinnen und Soldaten, die ihren Kopf für unser Land hinhielten. „Wir stellen fest, dass Radikale unser Land verwandeln wollen und Nächstenliebe und Barmherzigkeit in Hass und Wut verwandeln wollen. Das müssen wir als Menschen, die es gut meinen, umkehren. Das wird uns sehr viel abverlangen und zumuten. Aber in diesem Wort steckt ja auch das Wort Mut“, so Wulff. Und er spüre, dass viele gerade jetzt den Mut hättn, für Frieden und Freiheit zu arbeiten.

>>> Koransuren und ein Gebet in aramäischer Sprache

Das Programm des Interreligiösen Fastenbrechens hatte mehrere Facetten. Neben der Begrüßung durch Tuncay Nazik von der Islamischen Gemeinde begrüßte Dagmar Grolman von der evangelischen Gemeinde die Gäste. Samuel Gümüs, Dekan der syrisch-orthodoxen Gemeinde Herne, sprach ein Gebet in aramäischer Sprache, Adem Dogan intonierte Koran-Suren, bevor um 18.39 Uhr Speisen und Getränke gereicht wurden.