Herne. 2020 nahm der Online-Supermarkt Picnic sein Zentrallager in Herne in Betrieb. Seitdem wächst der Lieferdienst stetig - dank Milchmann-Prinzip.
In früheren Zeiten fuhr der Milchmann regelmäßig seine Route und versorgte seine Kundschaft zuverlässig mit Milch und anderen Molkereiprodukten. Der Beruf des Milchmanns ist längst ausgestorben, doch mit dessen Prinzip - regelmäßige und pünktliche Lieferung - ist der Online-Supermarkt Picnic äußerst erfolgreich. Herne spielt dabei eine wichtige Rolle.
Zur Erinnerung: Im April 2020 nahm Picnic an der Südstraße sein Zentrallager in Betrieb, es war nach Viersen das zweite seiner Art in Deutschland für das Unternehmen, das 2015 in den Niederlanden gegründet wurde. Von Herne aus werden Verteilzentren an anderen Orten beliefert, von denen aus dann die Endkunden angesteuert werden. Rund 160.000 Haushalte können von Herne aus beliefert werden.
Warteliste für Herne umfasst schon wieder rund 1400 Haushalte
Wie sich seitdem das Geschäft entwickelt hat, offenbaren folgende Entwicklungen: Bei der offiziellen Vorstellung sagte Picnic-Deutschland-Chef Frederic Knaudt, dass die Zahl der Mitarbeiter perspektivisch von 125 zum Start auf 400 steigen soll. Diese Marke ist längst überschritten, sie liegt laut Picnic-Sprecher Richard Streck zurzeit bei 470. Doch Tempo und Umfang des Wachstums spiegeln sich erst so richtig ein paar hundert Meter weiter im Gewerbegebiet Hibernia wider: Dort ist ein Verteilzentrum entstanden, mit dem Picnic Kundinnen und Kunden in Herne und in Teilen Bochums beliefert. 150 weitere Kräfte versorgen hier 42.000 Haushalte. „Herne ist damit das größte Verteilzentrum im Ruhrgebiet“, sagt Streck im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Und die Nachfrage bleibt hoch. Die Warteliste für den Herner Bereich umfasse rund 1400 Namen, so Streck. Die Bedeutung verdeutlicht er mit einem Vergleich: Das Herner Verteilzentrum generiere so viel Umsatz wie neun (!) stationäre Supermärkte.
Digitalisierung trifft Milchmann
Das Geheimnis des Erfolgs: Picnic hat das Prinzip des Milchmanns digitalisiert und trimmt es konsequent auf Effizienz, wie das Unternehmen beim Ortstermin demonstriert. Wobei: Diese Effizienzsteigerung beginnt eigentlich schon in der App, die die Kunden auf ihrem Smartphone haben: Dort können sie sehen, was sie in der Vergangenheit bestellt haben, so ist der neue Warenkorb noch schneller gefüllt und bestellt. Diese Bestellung muss bis 23 Uhr eingetroffen sein, das gibt Picnic genügend Zeit, um die Lieferung für den nächsten Tag zusammenzustellen und die schnellsten Routen zu berechnen.
Zusammengestellt werden die Lieferungen im riesigen Warenlager an der Südstraße. Wenn eine Maschine die weißen Tüten in den Picnic-roten Kisten befestigt hat - bis vor einiger Zeit musste das per Hand gemacht werden -, begeben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Beladetour durch die Regale. Der „Einkaufszettel“ ist selbstverständlich digital und zeigt an, welches Produkt in welche Kiste kommt. Auf diese Weise entstehen keine Umwege, sondern schon im Lager die kürzeste Strecke. Die fertig gepackten Kisten werden in Metallregale geschoben, die als Ganzes wiederum in die markanten E-Lieferfahrzeuge geladen werden.
„Wir verstehen uns eher als Datenunternehmen“
Auch dabei gilt: Effizienz, Effizienz, Effizienz. Schwere Kisten liegen unten, so stabilisieren sie einerseits den schmalen Lieferwagen und sind andererseits für die Fahrer ergonomisch besser zu packen. Eine mehrere Kilogramm schwere Kiste auf Kopfhöhe zu heben, belastet den Rücken. Doch die Künstliche Intelligenz hilft den Fahrern noch weit mehr. Sie sagt ihnen auf ihrer Tour, auf welcher Etage ein Kunde wohnt, wo man ideal den Wagen abstellen kann während der Lieferung und auf welcher Seite des Wagens sie aussteigen müssen, um sofort die Kiste für den Kunden greifen zu können. Durch mehrmaliges Scannen der Kiste lernt das System, wie lange eine Lieferung bei einem bestimmten Kunden dauert. Auf diese Weise könne Picnic die Zuverlässigkeit - ganz wie der Milchmann - steigern und die angekündigten Zeitfenster einhalten. Angesichts dieser Abläufe überrascht es kaum noch, wenn Streck sagt: „Wir verstehen uns eher als Datenunternehmen denn als Supermarkt.“
Dass dieses „Datenunternehmen“ im Lebensmittelhandel ziemlich erfolgreich ist, liegt aber auch an anderen Faktoren. Picnic hat sich nie auf das Geschäft mit Spontanbestellungen eingelassen. „Das ist viel zu ineffizient, das wäre kein tragfähiges Geschäftsmodell“, so Streck. Außerdem hat Picnic von Anfang an auf eine Liefergebühr verzichtet. Der Erfolg gibt dem Unternehmen recht. Die Zahl der Kunden wächst stetig - dazu würden zu einem überragenden Teil Familien beitragen, so Streck.
Familien tragen maßgeblich zum Wachstum bei
Das treffe auch auf Herne zu, in der Stadt beliefere Picnic etwa 16.000 Familien. Gerade junge Familien würden sich an den Onlineeinkauf gewöhnen. Da Familien bis zu 80 Prozent immer die gleichen Produkte kauften, sei ein Onlinesupermarkt für sie eine gute Alternative, um Zeit zu sparen. Für Picnic sind Familien auch finanziell attraktive Kunden, weil ihre Bestellungen umfangreicher sind.
Trotz des Kundenwachstums: Erst im vergangenen Jahr hat sich Picnic über die Grenzen von Nordrhein-Westfalen hinausgewagt - nachdem man viele Dinge gelernt habe. Seit April 2023 rollen die Wagen in Hamburg. Der Start dort sei der erfolgreichste europaweit gewesen - noch vor Paris. Auch in Berlin sei der Startschuss gefallen. Das Ziel für die Zukunft ist gesetzt: In ein bis zwei Jahren soll jede zweite Familie in Deutschland Picnic nutzen können.
Die Bestseller in Herne
Diese Produkte wurden in Herne am häufigsten von Picnic-Kunden gekauft: Milch, Gurken, Schnittkäse, Pudding, Bananen, Frischkäse, Butter, Schlagsahne, Salami, Paprika. Und folgende Produkte wurden in Herne so häufig gekauft wie in keiner anderen Stadt: Babysäfte, Thunfisch und Rüben.