Herne. Nun hat auch Herne ein klares Zeichen gesetzt: Wie die Demonstration gegen die AfD verlief, warum die Erwartungen übertroffen wurden.
Herne hat am Freitagabend gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie demonstriert. Rund 4000 Menschen nahmen nach Angaben der Polizei an der Veranstaltung „Nie wieder ist jetzt“ teil, die von der Initiative „Schirme gegen Rechts“ angemeldet worden war und breite gesellschaftliche Unterstützung gefunden hatte.
Der Auftakt
Zum Glockenschlag um 17.15 Uhr begann im Schatten der Kreuzkirche Teil 1 des Bühnenprogramms. Nach einer Begrüßung, drei Redebeiträgen und einem ersten Auftritt der Punkband „Kommando Rostkehlchen“ („Jagt die AfD zum Teufel“) setzten sich die Massen für den Demonstrationszug durch die Innenstadt in Richtung Holsterhauser Straße in Bewegung.
Bunte Schirme, antifaschistische Botschaften
Viele bunte Schirme sowie Botschaften wie „Alternative für Dummköpfe“, „Menschenrechte statt rechte Menschen“, „Lebe so, dass die AfD etwas dagegen hat“ oder „Kein Sex mit Nazis“ waren zu sehen. Familien demonstrierten mit Kind und Hund, Verbände wie Awo und Kolping zeigten Flagge, und auch OB Frank Dudda stieß kurz nach Beginn zu der Kundgebung.
Auch jenseits der Stadtgrenzen wurde der Herner Aufruf wahrgenommen. „Wir sind mit drei Generationen hier“, sagte Monika (74), die mit Tochter Britta (56) und Enkelin Sal (18) und einem riesigen Transparent aus Bochum angereist war.
Die Redebeiträge
Anders als bei der Demo vor einer Woche in Bochum durften auch Politiker ans Mikro, allerdings mit der Auflage: keine Parteipolitik. Der Herner SPD-Landtagsabgeordnete Alexander Vogt hielt sich - wie auch andere Redner - an diese Vorgabe. Er klagte die Versuche der AfD an, „zu spalten und zu hetzen“ und lobte das „Riesenzeichen“, das mit der Demonstration in Herne gesetzt werde.
„Wir dürfen uns nicht von irgendwelchen selbsternannten Patrioten vorschreiben lassen, wie unser Land auszusehen hat“, sagte Volker von den „Schirmen“. Es sei das Land aller, die hier eine Heimat gefunden hätten. „Und wenn ein Mensch in diesem unserem Land vor Terror, Verfolgung, Armut Hilfe sucht, dann gehört er zu unserer Gesellschaft. Wenn eine Gruppe ,Elitärer von Rechtsaußen‘ beschließt, aus unserem Land Menschen zu entfernen, müssen wir uns die Frage stellen: Wer sind wohl die Nächsten?“
Gegen Rechtsextremismus, für die Demokratie
Und auch das betonte das „Schirme“-Mitglied: „Ende der 20er-Jahre nahmen die bürgerlichen Parteien die Gefahr des Faschismus nicht ernst. In den 30ern hievten sie Hitler ins Reichskanzleramt, wenig später brannte der Reichstag und es standen die ersten KZs. Heute kopieren die großen Parteien in ihrer Handlungsunfähigkeit Teile der ekelhAfDen Programmatik, um Wähler*innenstimmen nicht zu verlieren. Auch das sind Gründe, den großen Parteien hier keine Bühne zu geben.“
In Teil 2 des Bühnenprogramms ergriffen unter anderem der Singer/Songwriter Timur Bambil und Marcel Ifland vom Kulturell-Alternativen Zentrum (KAZ) das Wort. Und auch einen spontanen Redebeitrag gab es an diesem Abend - von der jungen Frau Ella, die ihrer Wut und ihren Sorgen über die Entwicklung in „Kaltland“ Ausdruck verlieh. Ebenfalls am Mikro: „Schorsch aus Baukau“ alias Jörg Höhfeld, Finne Feo (Queere Community Bochum), Anna Schwabe sowie ein Vertreter der „Seebrücke“. Gegen 20 Uhr endete die Veranstaltung
„Bin ich deutsch?“
Den größten Beifall erhielt Havle Nazik. Es sei in den vergangenen Tagen viel über Rechtsextremismus und wenig über die Betroffenen gesprochen worden, sagte das Mitglied der Islamischen Gemeinde Röhlinghausen. In ihrem fulminanten Beitrag „Bin ich deutsch?“ konterkarierte die 20-Jährige das auf Trennung von Deutschen und Ausländern beruhende Weltbild der AfD und anderer Rechtsextremisten (siehe auch unten). Und sie richtete einen Appell an ihre Zuhörerinnen und Zuhörer: „Ich hoffe, dass sich eure Solidarität nicht nur auf irgendwelche Demos bezieht, sondern dass ihr tagtäglich gegen Rechts aufsteht und nicht schweigt, wenn jemand irgendeine braune Scheiße von sich gibt. Danke schön!“
Die Bilanz
„Das ist krass. Alle Erwartungen sind übertroffen worden“, sagten Issi und Volker von den „Schirmen gegen Rechts“. Schon mit 1000 Teilnehmenden wären sie „super-zufrieden“ gewesen.
Die CDU
Immer wieder mal Thema war auf und vor der Bühne die CDU Herne. Der Grund: Parteichef Christoph Bußmann hatte im Vorfeld erklärt, dass die CDU nicht zur Teilnahme an einer „Antifa-Demo“ aufrufen werde. Und er hatte die „Schirme“ im Vorfeld als „Linksextreme“ bezeichnet. Die CDU-Stadtverordnete Bettina Szelag nahm trotzdem an der Kundgebung teil. „Ich bin einst in die Politik gegangen, um mich gegen den rechten Mob zu stellen“, sagte die stellvertretende Parteivorsitzende am Rande der Demo zur WAZ. Sie sei aufgrund des in den 80er-Jahren beginnenden Aufstiegs und der Wahlerfolge der rechtsextremen Partei „Die Republikaner“ in die CDU eingetreten. Ihr Motiv: „Ich wollte meinen Kindern nicht eines Tages erklären müssen, warum ich nichts getan habe.“
„Schirme“-Aktivist Issi adressierte diese Worte an den CDU-Vorsitzenden: „Wir sind Antifaschisten mit Leib und Seele. Einen Aufruf zu boykottieren und dazu aufzufordern, dem nicht nachzukommen, zeigt uns einmal mehr, dass eine Brandmauer für die CDU eher die installierte Firewall für den Parteiserver darstellt als eine Brandmauer gegen den offensichtlichen Faschismus.“
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Und die Herner AfD?
Die Herner AfD hat sich bislang öffentlich nicht zu der bundesweiten Protestwelle und zur Demo in der eigenen Stadt geäußert. Auf ihrer Facebook-Seite teilt der Kreisverband Stellungnahmen vom äußersten rechten Rand der AfD (u.a. Björn Höcke, Maximilian Krah und Junge Alternative), in denen in Bezug auf die Demos von „Regierungsparaden“ oder „gesteuerten linken Massenprotesten“ die Rede ist.
Der Beitrag von Havle Nazik
„Mein Beitrag bezieht sich darauf, worauf das Weltbild der AfD und anderer Rechtsextremisten beruht, nämlich auf der Trennung zwischen wir und den anderen, zwischen Deutschen und Ausländern.
Ich bin geboren und aufgewachsen in Deutschland, ich besitze den deutschen Pass. Bin ich deutsch? Ich besuchte einen katholischen Kindergarten, gehe regelmäßig in die Kirche und beherrsche die deutsche Sprache einwandfrei. Bin ich deutsch? Ich habe zwar keinen Weihnachtsbaum im Wohnzimmer stehen, Herr Merz, doch ich liebe Weihnachten. Bin ich deutsch?
Ich rege mich über Unpünktlichkeit auf und schnäuze mir die Nase ungeniert in der Öffentlichkeit. Bin ich deutsch? Ich kann nur meinen Kopf schütteln über das verschwendete Potenzial der perfekt ausgebauten niederländischen Autobahnen, weil dort eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 herrscht. Bin ich deutsch?
Ich liebe Brot und Goethes Faust, ich benutze Redewendungen wie ,ich glaub‘, mein Schwein pfeift‘. Bin ich deutsch? Für mich gibt es kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung. Bin ich deutsch? Ich höre zwar keinen Schlager, meine Augen sind nicht blau, ich mache keinen Urlaub an der Nord- oder Ostsee, aber ich wandere gerne. Bin ich deutsch?
Ich heiße Havle Nazik. Mein Nachname wird wie folgt buchstabiert: N, A, Z, I, K. Wäre ich deutsch genug, wenn ich das K aus meinem Nachnamen löschen würde? N,A,Z,I. Ich bin Deutsch-Türkin, ich bin heimatlos. Werde ich bald auch staatenlos sein?“