Herne. 44 Jahre war Pia Seifert Erzieherin und zuletzt Leiterin einer Kita in Herne-Wanne. Nun geht sie in den Ruhestand und zieht Bilanz.

Es gibt nicht viele Personen, die einen Stadtteil und deren Kinder so geprägt haben wie Pia Seifert. In 44 Jahren hat die heute 64-Jährige in der evangelischen Kita Wirbelwind in Herne Generationen von Kindern aufgezogen. Zunächst als Erzieherin, seit 1985 als Kita-Leiterin, war sie in Wanne mit viel Herz und einem offenen Ohr für die Kinder sowie die Eltern da. Nach 44 Jahren hat sie sich nun in den Ruhestand verabschiedet.

„Kita war damals ganz anders“, erinnert sich Pia Seifert beim Gespräch mit der WAZ. „Als ich angefangen habe, hatte die Kita von 8 bis 12 Uhr und von 14 bis 16 Uhr geöffnet.“ Nur ganz selten sei ein Kind für die Nachmittagsbetreuung zurück in die Kita gebracht worden. „So hatten wir Zeit, um Wochenpläne zu erstellen, Dinge vorzubereiten und auch Geschenke für die Kinder selbst zu basteln. Man hatte mehr Zeit fürs Kind.“ Es sei ein Team aus nur fünf Mitarbeitern gewesen, bei drei Gruppen und 75 Kindern. Heute seien sie 19 Mitarbeiterinnen bei knapp 100 Kindern in fünf Gruppen – wobei die Hälfte in Teilzeit arbeite.

Kita in Herne: Vom „Zappelphilipp“ zum ADHS-Kind

Aber die Arbeit habe sich eben komplett geändert. „Dreijährige waren damals ganz selten. Wenn, mussten sie sauber und trocken sein, das war eine Voraussetzung für die Aufnahme“, erinnert sich die Bochumerin. Die meisten Kinder waren vier bis sechs Jahre alt. Die Betreuung unter Dreijähriger (U3) sei erst 2009 hinzugekommen. Auch die Betreuungszeiten haben sich über die Jahre angepasst. Die Mittagspause entfiel, und das gemeinsame Mittagessen in der Kita wurde obligatorisch.

„Die Kinder waren anders“, sagt Pia Seifert. Zwar habe es auch damals schon den „Zappelphilipp“ gegeben, der heute häufig als ADHS-Kind bezeichnet werde. Aber den heutigen Kindern merke man vielfach die Reizüberflutung an. Häufig sei der Tagesablauf der Kleinen vollgestopft mit Kita, Vereinsaktivitäten, Tanzen oder auch Therapien. 1991 sei das erste behinderte Kind zur Betreuung aufgenommen worden; heute sei Inklusion selbstverständlich. Das Thema Sprache habe aufgrund der zunehmenden Zahl ausländischer Kinder eine viel größere Bedeutung eingenommen.

Mitte Dezember wurde Pia Seifert von Eltern und Kindern der Kita Wirbelwind offiziell verabschiedet.
Mitte Dezember wurde Pia Seifert von Eltern und Kindern der Kita Wirbelwind offiziell verabschiedet. © Kita Wirbelwind | Marcel Jedner

Die Berufstätigkeit der Eltern habe den Kita-Alltag und die Arbeit als Erzieherin komplett verändert. Zunächst seien (etwa im Jahr 2005) sieben Kinder über Mittag geblieben, da die Mütter arbeiten mussten. Damals hätten die Kinder ihr Essen noch in Tupperdosen mitgebracht. Heute werde das Essen zentral von der Elisabeth-Stiftung geliefert. Die Betreuungszeit wird von 7 bis 17 Uhr angeboten.

Auch pädagogisch habe sich ein bisschen was geändert. Heute dürften die Kinder wesentlich mehr entscheiden als früher. Die Kita arbeite inzwischen in einem teiloffenen Konzept. Dabei gebe es zwar noch eine Stammgruppe, zusätzlich würden aber Bildungsräume wie ein Atelier oder Bewegungsraum angeboten, in denen die Kinder ebenso spielen dürfen. „Heute stehen wir den Kindern sanft beratend zur Seite“, sagt Seifert und nennt als Beispiel die Wahl der richtigen Kleidung, wenn es nach draußen geht. „Früher war man rigoroser.“ Dabei ist sie davon überzeugt, dass Kinder Regeln bräuchten.

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Diese Umstellung des Kita-Alltages auf ein teiloffenes Konzept (etwa 2014/15) sei rückblickend die schwierigste Zeit gewesen. Damals habe auch eine komplett offene Arbeit im Raum gestanden. Das Team habe sich aber dagegen entschieden – auch wegen der Räumlichkeiten. Die Corona-Pandemie habe sie hingegen als nicht so belastend empfunden. „Die Zusammenarbeit mit den Eltern war in der ganzen Zeit gut“, freut sie sich. Generell lobt sie den guten Kontakt zu den Familien ihrer Schützlinge.

Aber auch Mütter und Väter hätten sich in ihrem Verhalten verändert. „Eltern waren früher etwas sicherer in der Erziehung“, beobachtet die langjährige Kita-Leiterin. Dabei sei diese auch nicht immer richtig gewesen. „Heute gibt es so viel Einfluss von außen, man googelt, erfährt im Internet so viel. Dadurch entsteht bei den Eltern so viel Unsicherheit“, so Seifert. „Man ist von der Außenwelt so abhängig geworden.“

Kita Wirbelwind in Herne: Warteliste mit 300 Namen

Das Aufgabenfeld als Erzieherin sei in den vergangenen Jahren immer vielseitiger geworden. „Ich glaube, dass das auch viele Berufseinsteiger abschreckt“, so Pia Seifert. „Das Gehalt kann es nicht sein“, sagt sie. Zwar müsse der Job besser entlohnt sein, den Grund für den Fachkräftemangel sieht sie darin aber nicht. „Es werden immer mehr Kitas gebaut.“ Damit brauche man immer mehr Personal. Die Einstellung zur Work-Life-Balance bei Jugendlichen habe sich hingegen sehr verändert. Sie bekomme von jungen Berufseinsteigern Bewerbungen, die 80 Prozent arbeiten möchten. „Wie funktioniert das finanziell?“, frage sie sich dann.

Dabei werde Personal dringend benötigt. Die Kita-Plätze in Herne sind weiterhin rar. „Wir haben eine Warteliste mit 300 Namen darauf“, sagt Seifert. „Wir haben öfter weinende und verzweifelte Eltern vor der Tür.“ Den Kita-Navigator, der seit einigen Jahren in Herne den Anmeldeprozess besser koordinieren soll, sieht sie kritisch. Dadurch sei die Anmeldung sehr viel anonymer geworden. Viele Eltern lerne sie durch den Navigator gar nicht mehr kennen und könne nur nach ganz formalen Kriterien die Plätze verteilen. Das Persönliche gehe dabei verloren.

Staffelübergabe: Pia Seifert hat die Leitung der evangelischen Kita Wirbelwind in Herne nach 44 Jahren an Paulina Kalecka (r.) übergeben.
Staffelübergabe: Pia Seifert hat die Leitung der evangelischen Kita Wirbelwind in Herne nach 44 Jahren an Paulina Kalecka (r.) übergeben. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

In all den Jahren habe sie nie überlegt, die Einrichtung zu wechseln. Sie habe einfach ein tolles Team. Doch nun möchte Pia Seifert die Zeit mit ihren vier Enkelkindern und zwei Kindern genießen – nach 44 Jahren durcharbeiten.

Die neue Kita-Leiterin ist Kindern und Eltern bekannt: Paulina Kalecka arbeitet bereits seit 17 Jahren in der Kita Wirbelwind. Sie konnte sich in Ruhe einarbeiten, bevor sie zum 1. Januar 2024 offiziell die Leitung übernahm. „Ein besseres Team kann man nicht haben“, sagt sie. Ein paar Dinge möchte die Hernerin ändern: etwa die Angebote oder auch die Gruppenstruktur. „Die Gemeindearbeit würde ich auch gerne wieder etwas intensivieren und in der Gemeinde präsenter werden.“