Herne. Sie liegt im Niemandsland zwischen zwei Stadtteilen mitten im Grünen, und der Bus hält dort nur selten: Wo Hernes „einsamste Haltestelle“ steht.
„Sie ist schon idyllisch gelegen“: So beschreibt HCR-Sprecher Dirk Rogalla die Haltestelle „Friedhofstraße“ in Herne. Damit meint er: Sie ist ganz schön weit ab vom Schuss. Auf der Mont-Cenis-Straße liegt sie, ganz im Osten, kurz vor der Stadtgrenze zu Castrop-Rauxel. Die Haltestelle könnte auch gut im Sauerland stehen. Rings herum sind Felder, ein paar Häuser, am Straßenrand stehen hohe, üppige Bäume, ab und an fährt ein Auto vorbei. 520 Haltestellen hat die HCR in Herne. Die „Friedhofstraße“ nennt sie die „einsamste Haltestelle“.
Ein Bus hält dort, der 324er. Und, am Wochenende, der Nachtexpress NE31. Der 324er pendelt zwischen Herne Bahnhof und Castrop Münsterplatz. 35 Minuten ist er auf dieser Strecke unterwegs, fährt werktags meist im 30-Minuten-Takt. Die Haltestelle Friedhofstraße, nach dem benachbarten Holthauser Friedhof benannt, liegt ein bisschen wie in einem Niemandsland: Die Haltestelle davor, Auf‘m Kolm, liegt in Sodingen, und die dahinter, Lange Straße, in Holthausen. Viel los ist im Abschnitt dazwischen, zwischen Bösinghauser Straße und Heroldstraße, nicht - um es vorsichtig zu sagen. Kein Wunder, dass dort kaum einer ein- und aussteigt.
Herne: In der Umgebung ist es schön grün
Rund 250.000 Fahrgäste, sagt HCR-Sprecher Rogalla, transportiere das Herner Nahverkehrsunternehmen mit seinen 74 Bussen pro Woche. An der Haltestelle Friedhofstraße steige in Richtung Castrop wöchentlich gerade mal ein Fahrgast ein, in Richtung Herne-Mitte, auf der gegenüberliegenden Seite, seien es um die vier. Heißt: Der Busfahrer oder die Busfahrerin muss schon höllisch aufpassen, dass er oder sie an dieser Stelle nicht automatisch durchfährt.
Die Aufenthaltsqualität an dieser einsamen Stelle der Stadt ist auch eher bescheiden. Die Haltestelle in Richtung Herne-Mitte liegt an der Mont-Cenis-Straße 441, direkt vor einem Haus. Die vielen Felder dahinter sind von dort nicht zu sehen. Ins Pflaster gesetzt ist gerade mal eine Stange mit Haltestellenschild, Fahrplan und Papierkorb. Auf der anderen Seite ist es komfortabler: Dort steht ein Haltestellen-Häuschen mit drei Sitzen, drunter Herbstlaub und eine leere Flasche Energiedrink. Ob da jemals drei Menschen nebeneinander gesessen haben? Ein Ausstieg lohnt sich aber trotzdem: Weil es in der Umgebung so schön ist, kann man von dort aus durchs Grüne laufen, etwa zum Volkspark.
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Stellt sich die Frage: Warum gibt es an dieser Stelle überhaupt eine Haltestelle, wenn sie doch kaum jemand nutzt? Der Nahverkehrsplan, sagt HCR-Sprecher Rogalla, sehe vor, dass den Menschen ein „möglichst flächendeckendes Angebot“ an Haltestellen geboten wird. Eine Faustregel laute: Innerhalb von fünf Minuten soll es zu Fuß zum nächsten Wohngebiet gehen. Das ist dort auch der Fall: Von der Friedhofstraße um die Ecke ist man schnell bei den Häusern am Lehmbrink und Hegacker. Allein: Von dort geht‘s auch fix zu besagter Haltestelle Auf‘m Kolm. Zwischen ihr und der „einsamsten Haltestelle“ Friedhofstraße liegen gerade mal 350 Meter. Und doch: Stünde der Stopp Friedhofstraße nicht dort, wo er steht, dann gebe es im Nahverkehrsnetz eine Lücke, sagt Rogalla.
Einsamste Haltestelle in Herne? Das will Benjamin Birkner nicht glauben. Er steht dort an einem Morgen im Januar am Straßenrand, Paket unterm Arm, Zigarette in der Hand, und wartet auf der 324er in Richtung Bahnhof Herne. Er fahre regelmäßig mit dem Bus, steige dort ein und aus - und sei damit oft nicht allein. Ein Auto habe er nicht, deshalb sei er auf den Bus angewiesen. „Ich bin froh, dass es ihn gibt“, so der 24-Jährige. Auch, wenn er dafür meist allein an der Haltestelle steht.
>>> HCR: Zahlen und Fakten
22 Linien betreibt die Straßenbahn Herne–Castrop-Rauxel (HCR), sagt HCR-Sprecher Dirk Rogalla. Die Gesamtlänge aller Linien betrage 259 Kilometer.
Pro Jahr legten die Busse rund 4,1 Millionen Kilometer zurück - das seien 103 Erdumdrehungen. Und noch mehr Zahlen: Das Unternehmen beschäftigte zuletzt 316 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter elf Auszubildende