Herne. In Wanne-Eickel wurden 1923 acht Menschen von der Polizei erschossen. Der Tag geht als „Schwarzer Mittwoch“ in die Geschichte von Herne ein.
- Vor dem Wanner Rathaus wurden vor 100 Jahren acht Arbeiter durch die Polizei erschossen.
- Die Konflikte schwelten wegen der Ruhrbesetzung schon seit Monaten in Herne und Wanne-Eickel.
- Nun wurde bei einer Gedenkstunde an die Opfer des „Schwarzen Mittwochs“ erinnert.
Es ist der 15. Januar 1923, als französische Truppen auch Teile von Herne und Wanne-Eickel besetzen. Das Deutsche Reich befindet sich nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg mit den im Versailler Vertrag zu zahlenden Reparationslieferungen an Frankreich im Rückstand. Die Reichsregierung lehnt die Forderungen der Alliierten als unerfüllbar ab. Französische und belgische Truppen besetzen daraufhin am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet. Ziel des Einmarsches ist es, Lieferungen von Kohle und Stahl aus dem Ruhrgebiet nach Frankreich zu sichern. Die französische Regierung lässt dazu Schachtanlagen und Hüttenwerke durch Militär besetzen. Für die Besatzungszone zwischen Ruhr und Emscher werden Pass- und Einreisebestimmungen erlassen.
Die Arbeiterschaft im Revier folgt dem Aufruf der Regierung unter Reichskanzler Cuno und reagiert auf den Einmarsch mit passivem Widerstand. So fahren die Bergleute zwar in die Gruben ein, fördern aber keine Kohle zu Tage. Vereinzelt kommt es zu Sabotageanschlägen. Im Rhein-Herne-Kanal werden Kohleschlepper versenkt, es werden Schienen demoliert und Güterzüge zum Entgleisen gebracht.
Herne: Immer neue Streikwellen
Arbeitslosigkeit und Inflation steigern die Not der Bevölkerung. Unternehmer und Spekulanten legen ihr Geld in Sachwerten an und kaufen große Besitztümer. Demgegenüber verlieren kleine Sparguthaben des Mittelstandes und die Löhne der Arbeiterinnen und Arbeiter rapide an Kaufkraft und führen zu wachsender Verarmung. In immer neuen Streikwellen über das ganze Jahr verteilt protestieren die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht nur gegen die Drangsalierungen der Besatzungsmacht, sondern auch gegen die erbärmlichen Lebensumstände ihrer Familien. Sie fordern eine Lohnerhöhung um 50 Prozent und eine Teuerungszulage. Um die größte Not zu lindern, richten die französischen Stellen in der Stadt Suppenküchen ein.
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Bereits die Mai-Unruhen fordern in Herne drei Todesopfer und viele Schwerverletzte. Die Streikwelle erreicht Herne am 24. Mai 1923. Auf der Zeche Mont-Cenis in Sodingen und Shamrock 1/2 in Herne kommt es zum Ausstand und zu Kundgebungen. Auf dem Zechenplatz von Shamrock gibt es Auseinandersetzungen zwischen Streikbrecherinnen und Streikbrechern sowie Streikenden. Auf Mont-Cenis setzt die Zechendirektion bewaffnete Polizei ein, um eine Urabstimmung der Bergleute über die Fortsetzung des Ausstands zu unterbinden. Die Bergarbeitenden setzen sich mit Knüppeln und Steinen gegen die Schusswaffen der Polizei zur Wehr. Zwei Bergleute sterben, 14 werden schwer verletzt.
Vom 27. Mai bis zum 30. Mai tritt die Belegschaft von Friedrich der Große in den Streik. Eine „Hundertschaft der Roten Ruhr Armee“ besetzt die Anlage. Wiederholt kommt es zu Feuergefechten zwischen der Polizei und der „Proletarischen Hundertschaft“. Bei einer Schießerei auf der Anlage 3/4 wird ein Bergmann getötet, vier seiner Kumpels werden schwer verletzt.
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Begleitet von Unruhen und weiteren Arbeitskämpfen schließen Arbeitgeber und Gewerkschaften am 28. Mai 1923 für den Ruhrbergbau ein neues Lohnabkommen, das eine inflationsbedingte Lohnerhöhung von 53,8 Prozent vorsieht. Ab September 1923 stellt die Reichsregierung den passiven Widerstand ein und sucht mit der französischen Regierung eine Verhandlungslösung. Aber auch in den Folgemonaten kommen Herne und Wanne-Eickel nicht zur Ruhe. Am 5. Dezember 1923 schließlich, vor 100 Jahren, kommt es in Eickel und in Wanne zu großen Demonstrationen. Die Demonstrierenden verlangen angesichts der Geldentwertung die Auszahlung der doppelten Erwerbslosenunterstützung.
An allen Zahlstellen für Erwerbslose bilden sich Demos, die von Shamrock aus zum Amtshaus in Eickel, von Röhlinghausen, Unser Fritz und Schacht Wilhelm zum Amtshaus Wanne führen. Hier schießt die Polizei in die wütende Menge. Acht Demonstranten werden an diesem sogenannten Schwarzen Mittwoch tödlich getroffen, 32 schwer verletzt. Sie werden durch eine Sanitätskolonne ins katholische Krankenhaus eingeliefert. Die Wanne-Eickeler Zeitung berichtet am nächsten Tag: „Ein unheilvoller Tag in der Geschichte unserer Gemeinden. Furchtbar sind die Blutopfer dieses Tages, groß ist die Erbitterung unserer Erwerbslosen über die vom Staate ihnen zugebilligten, tatsächlich ungenügenden Unterstützungssätze.“
Der Autor Norbert Arndt gehört der DGB-Geschichtswerkstatt in Herne an, die schwerpunktmäßig die NS-Zeit in Herne und Wanne-Eickel aufarbeitet.
>>> Gedenkstunde auf dem Friedhof
Zusammen mit der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel hat die DGB-Geschichtswerkstatt am Samstag, 2. Dezember, auf dem Holsterhauser-Friedhof eine Gedenkstunde durchgeführt. Dabei erinnerten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an die Opfer der Polizeigewalt vor 100 Jahren.
Eröffnet wurde die Gedenkstunde von Frank Sichau, dem ehemaligen SPD-Landtagsabgeordneten und Vorsitzenden der Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel. Die Rede hielt Prof. Gregor Büchel (Geschichtswerkstatt).