Herne. Michael Bergmann, IHK-Hauptgeschäftsführer Mittleres Ruhrgebiet, ärgert sich über zu viel Bürokratie und hat Sorgen wegen fehlender Fachkräfte.
Die IHK Mittleres Ruhrgebiet, zu deren Bezirk auch Herne gehört, schaut mit großer Sorge auf den demografischen Wandel und den daraus resultierenden Nachwuchs- und Fachkräftemangel. Hauptgeschäftsführer Michael Bergmann übte beim Besuch in der Herner WAZ-Redaktion auch Kritik an der überbordenden Bürokratie. Die Kammer selbst habe einige Dinge umgebaut, um wieder näher an den Unternehmen zu sein.
Bei der Zahl der Ausbildungsverträge in IHK-Berufen habe man zwar wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. „Das bedeutet aber nicht, dass dies eine gute Entwicklung ist“, so Bergmann. Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze sei nach wie vor sehr hoch. Die Unternehmer hätten große Sorge, genug Nachwuchs zu rekrutieren. Längst würden sich die Firmen bei den jungen Menschen bewerben und nicht umgekehrt.
Bergmann: Man muss akzeptieren, dass es Unterschiede in den Qualifikationen gibt
Manche Firmen schauten bei der Gewinnung von Fachkräften längst ins Ausland, doch die Willkommenskultur in Deutschland sei durch einen bürokratischen Dschungel geprägt. Bergmann nannte als konkretes das Herner Bauunternehmen Heitkamp. Das hat Ingenieure in der Mongolei angeworben, doch die Anerkennung von Abschlüssen dauere so lange, dass die ersten sich bereits anders orientiert hätten. Er selbst habe in dieser Angelegenheit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur kontaktiert, ebenso Joachim Stamp, den Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen - vergeblich. Das sei bedauerlich für ein Unternehmen wie Heitkamp, das alle Hebel in Bewegung setze, um Fachkräfte zu bekommen und dann an bürokratischen Hürden scheitere.
Gerade das Beispiel Heitkamp offenbare, dass Deutschland ein Ausbildungssystem habe, das nicht weltweit Standard sei. Wenn Menschen mit anderen Nachweisen, Zeugnissen und Qualifikationen kämen, dann müsse man akzeptieren, dass es Unterschiede gebe und trotzdem Menschen kämen, die eine Qualifikation mitbringen. Nur eben eine andere. „Da merkt man, dass unsere Bürokratie keinen Sinn macht.“ Man könne nicht erwarten, dass bei den Qualifikationen der deutsche Standard erfüllt werde, weil es kein weltweiter Standard sei. Man müsse akzeptieren, dass es auch andere Nachweise gebe.
Flickenteppich bei Öffnungszeiten
Auch der demografische Wandel hole die Unternehmen immer schneller ein. Selbst Friseure schlössen mittlerweile samstags, weil sie kein Personal hätten. Das führe bei den Öffnungszeiten in den Innenstädten zu einem Flickenteppich, was deren Attraktivität nicht steigere - und das bei den diversen anderen Problemen, mit denen die Innenstädte zu kämpfen hätten. Bergmann: „Das ist keine gute Entwicklung.“ Die könne dazu führen, dass mancher Kunde gar nicht mehr in die Stadt gehe.
Mit Blick auf bürokratische Hürden stellt Bergmann die Frage, was noch alles passieren müsse, damit sich etwas ändere. Bedenklich werde es, wenn Projekte wegen der Bürokratie abgeblasen würden. Es gebe eine Über-Regelung - und eine Unterdigitalisierung. Es gebe keinen gemeinsamen digitalen Standard, den deutsche Behörden nutzen. Außerdem sei es in vielen Fällen schwierig, in Behörden den richtigen Ansprechpartner zu finden.
Mit mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern „PS auf die Straße bringen“
In dieser Hinsicht versuche die IHK nun, einen anderen Weg zu gehen. Für fast jedes Thema gebe es jetzt den direkten Ansprechpartner. Die Unternehmen sollen konkret wissen, wer bei der IHK bei welcher Frage hilft. 2017 sei ein Veränderungsprozess in Gang gesetzt worden, um auf ein paar Entwicklungen zu reagieren. „Doch manchmal passiert es, dass man den Blick nach draußen verliert, wenn man sich mit sich selbst beschäftigt“, so Bergmann. Deshalb hat die Kammer 2021 beschlossen, wieder den Blick auf die Unternehmen zu richten. Die IHK habe - nach einem Personalabbau - eine Einstellungsoffensive gestartet, 17 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien zum Team gekommen. Bergmann: „So können wir wieder PS auf die Straße bringen.“
Die Sichtbarkeit und Erreichbarkeit sei auch in Herne gewährleistet. Zur Erinnerung: Die IHK hatte vor einigen Jahren ein Regionalbüro an der Bebelstraße eröffnet. Doch es habe sich gezeigt, dass dort kaum jemand hingekommen sei. Entweder seien die Regionalberater in die Unternehmen gegangen, oder die Firmen hätten sich gleich an den Hauptsitz der IHK in Bochum gewandt. Deshalb sei dieses Büro aufgegeben worden, dafür ziehe man gemeinsam mit der Herner Stadtentwicklungsgesellschaft ins sogenannte Stadtforum in den Neuen Höfen.
Mit Nicola Henning gebe es seit einigen Wochen auch eine neue Regionalbetreuerin für Herne. Die Geografin kennt sich in dem Geschäft und in der Region gut aus. So war sie zehn Jahre in Essen im Standortmarketing für die Wirtschaft und bei der Bochumer Wirtschaftsförderung in einem Kooperationsprojekt tätig. Henning sieht sich als Schnittstelle in der IHK, wenn Unternehmen ein Anliegen haben, sofern sie nicht sowieso ihre Ansprechpartner haben.