Mit Mitte 50 eine neue Stelle finden: Das ist selbst in Zeiten des Arbeitskräftemangels schwer. Doch ein Herner hat es geschafft.
Trotz des Arbeitskräftemangels, der immer stärker um sich greift: Wer mit Mitte 50 seinen Job verliert, hat keine besonders guten Aussichten auf einen neuen Arbeitsplatz. Eine der wohl wenigen Ausnahmen bildet Gregor Weidenbach. Der Herner hat im vergangenen Jahr beim NWB Verlag seine neue Stelle angetreten – im Alter von 59 Jahren.
Er habe nicht mehr daran geglaubt, dass es noch was wird mit einem neuen Job, als er seinen bisherigen Arbeitgeber – ein Essener Energieunternehmen – nach 26 Jahren und zwei Monaten verlassen musste. Zu jenem Zeitpunkt war Weidenbach 58 Jahre alt. Der Tischlermeister war im Konzern „Vollkaufmann im Gebäudemanagement“, doch dann änderte sich seine Bezeichnung: Er galt plötzlich als „Personaleinsparpotenzial“. Dabei habe er noch die Wahl gehabt, erzählt Weidenbach im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Er hätte einen jüngeren Kollegen „rauskicken“ können, um selbst zu bleiben. „Doch dann hätte ich mein Gesicht verloren, dann wäre ich der Buhmann gewesen. Das wollte ich nicht.“ Was er auch nicht wollte: Mit 63 in Rente gehen. Er will bis mindestens 65 arbeiten.
Also wartete nach seinem Abschied aus der Konzernzentrale – „erhobenen Hauptes“ – eine Transfergesellschaft und eine ganz neue Erfahrung: „Ich habe die ersten Bewerbungen meines Lebens geschrieben.“ Seine Tischlerlehre habe er noch per Handschlag besiegelt, zum Energiekonzern sei er abgeworben worden. Also bereitete er seine Bewerbungsmappe vor – selbstverständlich digital –, meldete sich auf Stepstone und Co. an und hielt Ausschau nach passenden Angeboten. Dass die rar gesät sein könnten, sei ihm bewusst gewesen. Einerseits habe er im Konzern „zu gut“ verdient, seine Gehaltsvorstellungen könnten also zu hoch sein; andererseits habe er nicht reisen und nicht mehr quer durchs Ruhrgebiet pendeln wollen, erzählt der Herner.
Erste Absagen machten wenig Hoffnung auf eine Neuanstellung
Die Zwischenbilanz machte auch wenig Hoffnung: vier interessante Angebote in fünf Monaten. Und nach zwei Absagen rutschte die Hoffnung noch ein wenig weiter nach unten. Dennoch schickte er später eine Bewerbung an den Herner NWB Verlag, der eine Stelle im technischen Gebäudemanagement anbot – und schon zwei Tage später habe der Verlag angerufen und ihn zu einem Gespräch eingeladen, so Weidenbach.
„Die Chemie hat vom ersten Moment an gepasst“, erzählt Weidenbach. Sein heutiger Chef habe ihn wegen seiner Berufs- und Projekterfahrung und wegen seiner Handwerkskenntnisse haben wollen, und so stellte der Verlag ihn zum 1. September 2022 ein. Die Arbeit beschreibt Weidenbach als sehr vielfältig – vom Möbelschieben bis hin zur Unterstützung bei der Projektplanung. Die Struktur sei sehr flexibel, er könne viel Verantwortung übernehmen.
Die Firmenphilosophie des Duz-Unternehmens lernte Weidenbach schon vor seiner Einstellung kennen. NWB lud ihn zu seiner Jubiläumsfahrt aus Anlass des 75-jährigen Bestehens ein. Ein positiver Corona-Test verhinderte Weidenbachs Teilnahme. Und da er auch noch selbst Urlaub gebucht hatte, bevor er sich bei NWB beworben hatte, trat er seine Stelle mit einem Kranken- und Urlaubsschein an.
Für das Unternehmen überhaupt kein Problem, denn in den Gesprächen habe Gregor Weidenbach als Mensch überzeugt, betont Personalleiterin Anja Willich. Selbstverständlich habe es für die Position weitere und jüngere Bewerber gegeben, doch schnell sei klar gewesen: „Gregor Weidenbach passt als Mensch zu uns.“ Selbstverständlich müssten die Qualifikation und die Leistung stimmen, doch bei der Mitarbeiterauswahl gebe es auch immer weitere zentrale Fragen: „Was bringt die Person als Mensch mit? Welche Werte vertritt sie? Und welche nicht?“ Dazu muss man wissen, dass die soziale Verantwortung beim NWB Verlag eine große Rolle spielt. Man kann also davon ausgehen, dass ein hoch qualifizierter Stinkstiefel aussortiert wird. Gregor Weidenbachs Fazit nach fast einem Jahr bei NWB ist eindeutig: „Das ist wie ein Sechser im Lotto.“