Herne. Herne droht ein riesiges Millionenloch, der Kämmerer schlägt Alarm. Warum wird die finanzielle Lage der Stadt immer dramatischer? Ein Überblick.
Die besorgniserregende Entwicklung der städtischen Finanzen in Herne wird sich laut Rathaus in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen. Kämmerer Hans Werner Klee hatte angesichts eines drohenden jährlichen Millionenlochs in Höhe von 60 bis 80 Millionen bis 2027 zuletzt Alarm geschlagen und einen Brandbrief an die Landesregierung geschrieben. Durch steigende Kosten für die Integration von Zugewanderten sowie eine Investitionsflut in städtische Gebäude werde die Lage immer prekärer, schildert er. In den aktuellen Haushaltsplanungen seien diese Kosten aber nur ansatzweise berücksichtigt. Der städtische Finanzchef fordert deshalb viele zusätzliche Millionen Euro von Land und Bund. Warum droht Herne, immer tiefer in die Miesen zu rutschen? Die Stadt hat das an Beispielen vorgerechnet.
Kitaausbau
Rund 14.300 Migrantinnen und Migranten, darunter Flüchtlinge etwa aus der Ukraine und Syrien, sowie Zuzügler aus Südosteuropa leben laut Stadt in Herne. Dazu gehörten rund 1900 Kinder bis sechs Jahre, also rund 20 Prozent aller Herner Mädchen und Jungen in dieser Altersklasse. Sprach- und Sozialkompetenzen zu erreichen, sei gerade in dieser Altersklasse entscheidend für die spätere Entwicklung, so die Stadt. Dementsprechend wichtig seien Kitaplätze. Weitere Betreuungskapazitäten, darunter auch Räume müssten also geschaffen werden. Das Problem: Jeder Kitaplatz in Herne führe im Haushalt zu einem Verlust von rund 7000 Euro – pro Jahr. Werde allen Kindern aus Zuwanderungsfamilien ein Kitaplatz zur Verfügung gestellt, ergäbe das im Herner Haushalt ein Loch von 13,3 Millionen Euro pro Jahr. Diese Kosten der Integration könne Herne aus eigener Kraft gar nicht tragen.
Schulausbau
3100 Migrantenkinder unter 18 Jahren sind laut Verwaltung in Herne gemeldet. Für sie besteht eine Schulpflicht, also brauchen sie einen Schulplatz. Allein: Die Stadt hat schon jetzt zu wenig Plätze an den Schulen, weil vor den Flüchtlingskrisen Schulen geschlossen wurden, weil durch die Umstellung von G 8 auf G 9 mehr Klassen benötigt werden und weil es einen gesetzlichen Anspruch auf Offenen Ganztag in Grundschulen gibt. Kurzfristig reichten eine erhöhte Klassenstärke und eine teure Anschaffung von Containern, bald müssten aber neue Schulen mit Sportmöglichkeiten gebaut werden. Das koste aktuell pro Kind 90.000 Euro. Würden also „nur“ für die 3100 Zuwandererkinder Schulplätze gebaut, würde das laut Stadt 280 Millionen Euro kosten. Müsste die Stadt diese Summe aufnehmen, würde das nach den aktuellen Zinsen zu einem weiteren Loch von jährlich rund 17 Millionen Euro führen. Nicht eingerechnet: die Bewirtschaftungskosten dieser Plätze, die Kosten der Schuldigitalisierung inklusive iPads oder Laptops. Auch diese Kosten könne die Stadt nicht im Ansatz zusätzlich schultern.
Lebensunterhalt
Viele Migranten sind aktuell nicht in den Arbeitsmarkt integriert. Von den unter 65-Jährigen – also rund 14.000 Menschen – seien rund 7700 Personen im sogenannten SGB-II-Regelleistungsbezug, sprich: Sie erhalten Bürgergeld. Summa summarum koste das jährlich 21 Millionen Euro, hiervon bekomme Herne 12,5 Millionen Euro erstattet. Übrig bleibe ein Differenzbetrag von 8,5 Millionen Euro, den die Stadt laut Kämmerer „perspektivisch nicht mehr schultern“ könne. Nötig sei deshalb dringend eine weitere Aufstockung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft notwendig.
Investitionsbedarfe
Herne muss laut Stadt kräftig in Gebäude investieren. Das kostet viel Geld. Um die Versorgungsquote im Kita-Bereich sicherzustellen, seien mehrere Neubauten notwendig. Aktuell seien vier städtische Kitas mit einem Investitionsvolumen von rund 20 Millionen Euro in Planung und Umsetzung, weitere müssten folgen. Für den Offenen Ganztag müssten in den nächsten zehn Jahren an 13 Schulen OGS-Räume geschaffen werden. Der Erhalt und der Bau von Lehrschwimmbecken kosten in den nächsten zehn Jahren weitere 350 Millionen Euro. Die Erhöhung der Zügigkeit durch G 8/G 9 und den Schüleranstieg sowie die Generalsanierungsnotwendigkeiten an Real- und Gesamtschulen, Gymnasien sowie Berufskollegs erforderten weitere 250 Millionen Euro. Neben der neuen Hauptfeuer- und Rettungswache, die in Horsthausen für 140 Millionen Euro gebaut werden soll, müsse eine zweite Wache in Wanne her, die mindestens 60 Millionen Euro kosten werde. Außerdem müssten zur Erreichung der Klimaziele kommunale Gebäude umgerüstet werden. Kosten in den nächsten 15 Jahren dafür: über eine Milliarde Euro. Bei all diesen Summen gelte: Wenn Herne 100 Millionen Euro aufnehme, würde das im Haushalt – so der aktuelle Stand – zu weiteren Miesen von jährlich rund sechs Millionen Euro führen.
Das Fazit
Die Stadt, so Kämmerer Hans Werner Klee, brauche deutlich mehr Geld, damit die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur gemeinsam mit den Investitionen in den Klimaschutz bewältigt werden können. Nötig sei außerdem eine solide Finanzierung, um Geflüchtete aufnehmen und integrieren zu können. Erforderlich sei darüber hinaus eine Altschulden-Übernahme durch Bund und Land, eine kommunale Entlastung durch eine Neuordnung der Schulfinanzierung, eine Reform der Kita-Finanzierung, eine weitere Übernahme von Sozialaufwendungen durch den Bund sowie eine Abfederung der Belastungen, die durch den Krieg in der Ukraine entstehen. Fließe dieses Geld nicht, so warnte Klee, dann sei Herne „handlungsunfähig“. Die Folgen wären katastrophal.
>>> Der Haushalt: Volumen von 750 Millionen Euro
Das durchschnittliche jährliche Haushaltsvolumen liegt laut Stadt bei rund 750 Millionen Euro. Die freiwilligen Leistungen machten nur einen Bruchteil davon aus, einen „niedrigen einprozentigen Bereich“, so der Kämmerer. Dazu gehörten unter anderem Ausgaben für die Sport- und Kulturförderung. Alles andere seien Pflichtaufgaben, sprich: Die Stadt muss das Geld ausgeben.
Auch wenn sich am Haushaltsvolumen nichts ändern würde: Allein durch die Inflation müsste das Rathaus mehr Geld aufbringen: Eine durchschnittliche inflationsbedingte Kostensteigerung von rund acht Prozent, rechnet Kämmerer Hans Werner Klee vor, würden 60 Millionen Euro bedeuten.
Um das städtische Finanzloch zumindest teilweise füllen zu können, schließt er Steuererhöhungen nicht aus: „Sag niemals nie.“ Er betont aber zugleich, dass er aktuell keine höheren Steuern plane. Einzige nennenswerte Stellschrauben seien ohnehin die Grundsteuer B und die Gewerbesteuer. Die Grundsteuer B sei aber bereits im Haushaltsjahr 2023 von 745 Hebesatzpunkte auf 830 Hebesatzpunkte angehoben worden. Nun müsse mal gut sein.