Herne. Die Cranger Wildpferde und Engelbert Heitkamp kehrten zurück in die Ex-Firmenzentrale in Wanne: von Gemälden, Erinnerungen und dunklen Kapiteln.
Die „Wildpferde in der Cranger Heide“ kehren in ihr angestammtes Revier zurück: Das großformatige Gemälde hängt ab sofort wieder in der ehemaligen Heitkamp-Zentrale, dem heutigen Technischen Rathaus der Stadt. Die Belegschaft des Baukonzerns hatte das Kunstwerk 1965 Firmen-Chef Robert Heitkamp zum 50. Geburtstag geschenkt. 58 Jahre später betrat dessen Sohn und Nachfolger Prof. Engelbert Heitkamp für die Übergabe an OB Frank Dudda zum ersten Mal seit der Insolvenz und Zerschlagung des Baukonzerns 2011/12 wieder das Gebäude an der Langekampstraße 36 in Wanne-Süd.
„Ich hätte mir keinen besseren Ort vorstellen können“, sagte Heitkamp über das Gemälde des renommierten Wildtiermalers Manfred Schatz. Das Bild hing seit 1967 im Eingangsbereich des neu gebauten Verwaltungsgebäudes. Nach der Insolvenz habe er Dinge retten wollen, die der Familie etwas bedeutet hätten, sagte der 76-Jährige. Dazu hätten auch die „Wildpferde“ gezählt.
Zuletzt war es bei einer Emscher-Ausstellung im Essener Ruhr Museum zu sehen. Vor Ende der Schau bot Engelbert Heitkamp der Stadt Herne an, ihr das Kunstwerk zu überlassen, was diese auch annahm. Er überreichte der Stadt zusätzlich 14 Schwarz-Weiß-Skizzen, die Schatz für den Entstehungsprozess des Öl-Gemäldes erstellt hatte.
„Wildpferde in der Cranger Heide“ hat eine neue Heimat gefunden in einem Besprechungsraum im Erdgeschoss des 2017 von der Stadt in Betrieb genommenen Technischen Rathauses. Zu dem Bild stellt die Stadt eine Texttafel. „Motivisch verweisen die Wildpferde im Emscherbruch auf das Heitkampsfeld, dem Sitz der bäuerlichen westfälischen Vorfahren des späteren Bauunternehmers“, steht darauf geschrieben. Zugleich stünden sie für die Ursprünge der Cranger Kirmes, die sich „aller Wahrscheinlichkeit nach“ aus einem Pferdemarkt entwickelt habe. Das Wildpferd wurde 1975 auch in das Wappen der Stadt übernommen.
Heitkamp berichtete bei seinem Besuch im Technischen Rathaus, dass das Original der „Wildpferde“ einst nach einem Brand in der Firmenzentrale stark beschädigt gewesen sei und nicht mehr hätte wiederhergestellt werden können. Maler Manfred Schatz habe daraufhin das Bild ein zweites Mal gemalt: „Die zweite Fassung gefiel ihm sogar besser.“
Erwähnung findet auf der Tafel zum Gemälde auch der Aufstieg Heitkamps vom Tiefbauunternehmen mit vier Mitarbeitern bei Gründung 1892 bis hin zu einem international tätigen Baukonzern mit Tausenden Mitarbeitenden, der unter anderem beteiligt war am Ausbau des Ruhrschnellwegs, dem Bau des Parkstadions in Gelsenkirchen und der Errichtung von Kraftwerk-, Verkehrs-, Industrie- und Wasserbauten. „Dabei legte Robert Heitkamp viel Wert auf die soziale Einbindung seiner Stammbelegschaft“, heißt es. Burckhard Köhlhoff kann dies bestätigen. „Heitkamp war eine Firmenfamilie. Jeder ist morgens gerne zur Arbeit gegangen“, sagte der frühere Bauleiter, Betriebsrat und Arbeitsdirektor, der Engelbert Heitkamp zur (symbolischen) Übergabe des Gemäldes ins Technische Rathaus begleitete.
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Die Texttafel der Stadt weist aber auch auf ein dunkles Kapitel Heitkamps hin: Im Jahr 2000 habe sich die Heitkamp-Deilmann-Haniel GmbH, so der damalige Name der Bergbausparte des Unternehmens nach einer Fusion, an der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im NS-Unrechtsregime beteiligt. Damit sei „moralische Verantwortung“ für das Leid dieser Menschen übernommen worden, heißt es.
Moralisch mehr als fragwürdig war dagegen nach dem Krieg laut Einschätzung der Stadt und jüdischer Vertreter die Haltung der Familie Heitkamp, mehrere Vorstöße zur Förderung der Erinnerungskultur und zur Dokumentation von Nazi-Verbrechen abzulehnen. Das ergab 2013 eine Untersuchung des Stadthistorikers Ralf Piorr, der im Auftrag von OB Horst Schiereck tätig geworden war. Es ging um das Grundstück an der Langekampstraße, auf dem die 1938 von Nazis niedergebrannte Wanne-Eickeler Synagoge gestanden hatte und das Robert Heitkamps Vater Heinrich 1951 vom Jewish Trust erworben hatte.
Heitkamp lehnte Erinnerungstafel am ehemaligen Synagogen-Standort ab
Das Ergebnis von Piorrs Recherchen und Aktenstudium: Robert Heitkamp wies in den 70er-Jahren den Wunsch zurück, dass auf dem Grundstück der Familie eine Gedenkplatte oder -tafel an das jüdische Gotteshaus und an ermordete Wanne-Eickeler Jüdinnen und Juden erinnert. 1971 wurde dieses Ansinnen von Julius Leeser vorgebracht, dem ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Wanne-Eickels, der 1938 vor den Nazis nach Israel geflohen war. 1976 kam es dann doch noch zur Aufstellung einer Gedenktafel – im Sportpark, rund 500 Meter vom einstigen Synagogen-Standort entfernt. Erst 2013, also nach der Insolvenz von Heitkamp, wurde anlässlich des 75. Jahrestags der Reichspogromnacht am historischen Ort Langekampstraße eine Erinnerungstafel aufgehängt.
Bei seinem Besuch im Technischen Rathaus sprach Engelbert Heitkamp dieses Thema von sich aus an. Es sei kolportiert worden, dass sein Vater Probleme mit dem Judentum gehabt habe und sehr rechts gewesen sei, sagte er. Damit tue man ihm Unrecht und er bitte darum, seinen Vater nicht in diese Ecke zu stellen.
Die Freundschaft Robert Heitkamps mit dem von Juden besonders verehrten Berthold Beitz sowie gute Beziehungen zu Persönlichkeiten wie Johannes Rau, Hernes Oberbürgermeister Willi Pohlmann oder dem Heitkamp-Beiratsvorsitzenden (und späteren Deutsche-Bank-Chef) Alfred Herrhausen sprächen für den Charakter seines Vaters. Auch die Tatsache, dass Heitkamp am Wiederaufbau der Neuen Synagoge in Berlin beteiligt gewesen sei, widerspreche den Vorwürfen. So weit er das wisse, sei der Wunsch nach einer Erinnerungstafel für die Synagoge einst abgelehnt worden, weil diese in ihrem Privatgarten errichtet werden sollte. Das wäre kein würdiger Ort gewesen. Er könne persönlich aber nicht zur Aufklärung über den Streit ums Aufstellen der Erinnerungstafel beitragen oder aus erster Hand berichten, weil er in den 70er-Jahren im Studium gewesen sei. „Ich kann nur das wiedergeben, was ich gehört habe“, so Engelbert Heitkamp.
Zurück zum Thema Zwangsarbeit. Laut eines Wanne-Eickeler Verzeichnisses sind im 2. Weltkrieg rund 140 „Fremdarbeiter“ im Tief- und Bunkerbau bei Heitkamp eingesetzt worden. Untergebracht worden seien sie in der Eickeler Richard-Wagner-Schule (in der später das Katasteramt der Stadt seinen Sitz hatte). Zu finden sind diese Hinweise in einer im August 2000 von der Herner Friedensinitiative herausgebrachten und von Ralf Piorr und Guntram Lange erstellten Bestandsaufnahme.
Zwangsarbeit habe 1943 eine sehr große Rolle in der Bergbaustadt Herne gespielt, sagt Piorr im Gespräch mit der WAZ. Das Thema sei jedoch auch im Jahr 2023 nach wie vor eine „der größten Blindstellen“. Es gebe in Herne zwar viele Materialien historische Dokumente, auch einige Forschungsansätze, aber noch keine umfassende und seriöse Aufarbeitung.
>>> Wohnsitz in Essen, regelmäßige Besuche in Wanne
Als Kind habe er praktisch in der Firma gewohnt, erzählte Engelbert Heitkamp. Ihr Haus an der Langekampstraße sei Wohnung und Büro zugleich gewesen, sein Hauptspielplatz der Bauhof. Für ihn sei es einer der schlimmsten Momente seines Lebens gewesen, als durch die Zerschlagung der Firma „alles vorbei war“.
Er wohne in Essen, sei aber auch nach der Insolvenz immer wieder in Wanne-Eickel. Sein kürzlich verstorbener Schwager, der frühere Herner Bürgermeister Ingo Bontempi, habe sie aufgrund einer schweren Krankheit nicht mehr besuchen können: „Deshalb sind wir dann zu ihm gefahren.“ Es gebe aber noch viel mehr Anlässe zu Stippvisiten in der alten Heimat. So seien ihre Vorfahren auf dem Waldfriedhof begraben. In den Mondpalast gehe er. „Und einmal im Jahr haben wir Klassentreffen“, so Heitkamp. Bisweilen fahre er „einfach so“ durch Wanne und erinnere sich.
Die Veränderungen an und rund um den alten Heitkamp-Sitz seien von seiner Frau dokumentiert worden: „Sie geht nach wie vor nach Wanne zum Friseur.“ Bei ihren Besuchen mache sie stets ein aktuelles Foto, das sie dann in den Familien-Chat einstelle.
Dass die frühere Firmen-Zentrale inzwischen ein Technisches Rathaus ist, gefalle ihm „sehr, sehr gut“. Seit der Übernahme durch die Stadt sei er aber nie im Gebäude gewesen. In seinem einstigen Chef-Büro in der obersten Etage sitzt mittlerweile Stadtbaurat Karlheinz Friedrichs. Der könnte schon bald Besuch von seinem „Vorgänger“ bekommen: „Sie sind herzlich eingeladen, sich jederzeit Ihre alten Büros anzusehen“, sagte OB Frank Dudda.