Herne. Emilia Rodi (16) aus Herne erforscht die Geschichte der Gastarbeiter. Eine besonders spannende Episode fand sie in der eigenen Familie.

„Una vita nuova“ – ein neues Leben, so lautet das Versprechen, das italienischen Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern gemacht wurde. Auf Flyern war dieser Spruch aufgedruckt, darunter Fotos von schicken Einfamilienhäusern. Zahlreiche junge Menschen aus Italien brachen in den 50er Jahren nach Deutschland auf, um in ein besseres Leben zu starten. Doch was erwartete diese Menschen wirklich? Mit dieser und weiteren Fragen beschäftigt sich Emilia Rodi im Rahmen des Stipendienprogramms „Stadtteil-Historiker Ruhrgebiet“ der GLS Treuhand.

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Auf Stipendium zu Gastarbeitern aufmerksam geworden

„Ich habe mich im Rahmen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten bereits mit der Geschichte der italienischen und griechischen Gastarbeiter beschäftigt“, erklärt Emilia Rodi, die die elfte Klasse der Hildegardisschule in Bochum besucht. Ihr Lehrer machte sie auf das Stipendium aufmerksam. „Ich war bei der Bewerbung noch 15 und damit die jüngste Teilnehmerin“, sagt Emilia Rodi. Ihr Alter stehe ihr bei der Recherche manchmal im Weg. „Ich werde nicht immer richtig ernst genommen, wenn ich eine Anfrage stelle.“

Unterstützung erhalten sie und die 13 anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer – darunter lediglich zwei andere Frauen – von Historikern. Einmal im Monat findet ein Treffen statt, zusätzlich gibt es Workshops zu Themen, wie man als Historiker arbeitet und mehr. Das Interesse der 16-Jährigen an der Geschichte der Gastarbeiter liegt in ihrer eigenen Familie begründet. „Meine Oma stammt aus Griechenland, mein Opa aus Italien – beide sind in den 60ern als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen.“

Emilia Rodis Opa arbeitete bei Heitkamp

In Düsseldorf lernten sich die beiden kennen und lieben, später zogen sie nach Wanne-Eickel. Beide arbeiteten ursprünglich in der Textilindustrie. „Mein Opa arbeitete in Herne dann lange bei Heitkamp, unter anderem als Busfahrer. Meine Oma arbeitete als Köchin und versorgte die vier Töchter.“

Emilia Rodi versucht, bei ihrer 18-monatigen Forschung vor allem die Fragen „Wie haben die Gastarbeiter hier gelebt?“ und „Ist ein Integrationsprozess erfolgt?“ zu klären. Sie wolle ein Bild über das Leben der Menschen zeichnen, die für Deutschland eine sehr wichtige Rolle gespielt haben. Dazu hat sie sowohl ihre Großeltern als Zeitzeugen befragt, aber auch ihre Mutter und Tanten.

Emilia Rodi hat selbst Wurzeln in Italien und Griechenland.
Emilia Rodi hat selbst Wurzeln in Italien und Griechenland. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Viele Gastarbeiter lebten in Baracken

In ihren ersten Recherchen hat Emilia Rodi, die viel Zeit bei ihren Großeltern in Wanne-Eickel verbringt – bereits herausgefunden, dass das das „vita nuova“ für die meisten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in Realität nicht so rosig aussah, wie es gezeichnet wurde. „Deutschland hat mit Arbeitern gerechnet, aber Menschen kamen“ – so lassen sich die ersten Recherche-Ergebnisse zusammenfassen. „Die Leute wurden bloß als Arbeiter gesehen, nicht als Menschen. Man dachte nicht darüber nach, sie in die Gesellschaft zu integrieren, weil sie ja eigentlich wieder nach Hause gehen sollten.“

So scheine es nicht verwunderlich, dass die italienischen und griechischen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter meist in Baracken untergebracht waren, die zudem schlecht ausgestattet und in schlechtem Zustand waren. „Der Lebensstandard war viel schlechter“, sagt Emilia Rodi, die Journalistin werden möchte. Lebten Deutsche in dieser Zeit durchschnittlich zu dritt auf 25 Quadratmetern, stand den Menschen pro Person lediglich 2,5 Quadratmeter zu. Auch war es schwierig für sie, eine Wohnung zu finden, da es viele Vorbehalte gab.

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Lebensglück oder Ausbeute? Die Rolle der Gastarbeiter

Die 16-Jährige stellt an ihre Recherche zudem die Frage, ob der Weg nach Deutschland unter „Lebensglück oder Ausbeute“ fällt. „Ganz eindeutig lässt sich dies nicht beantworten“, findet Emilia Rodi. Denn als Arbeiter seien die Italiener und Griechen willkommen gewesen, wurden als Menschen aber nicht integriert. Die meisten machten trotzdem ihren Weg und bauten sich eine neue Existenz auf – so wie ihre Großeltern. Für das Stipendienprogramm möchte die Laien-Historikerin einen Flyer oder einen kleinen Prospekt erstellen, der das Leben der italienischen und griechischen Gastarbeitenden in Herne kurz nachzeichnet und zeigt, was diese Menschen in ihrem Leben erreicht haben. „Es gibt ja immer noch viele Menschen aus dieser Generation, die in Herne und Wanne-Eickel leben“, weiß Emilia Rodi. „Deshalb möchte ich meine Ergebnisse nach dem Druck gerne an öffentlichen Stellen auslegen.“

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Am Stipendienprogramm „Stadtteil-Historiker Ruhrgebiet“ der GLS Treuhand nehmen 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Alter von 15 bis 76 Jahren aus neun Städten teil. Jeder Teilnehmer erhält ein Recherchestipendium von 1200 Euro.

Themen sind unter anderem „Kriegs- und Kriegerdenkmäler als Lernorte für Jugendliche“ oder „Geschichte der Ziegeleien in Gelsenkirchen“. Emilia Rodis Arbeit für den Geschichtswettbewerb findet sich unter una-vita-nuova.de.