Herne. Die Hernerin Julia Korbik hat mit Julia Bernhard einen Comic über Simone de Beauvoir verfasst. Wie es dazu kam, warum das Buch besonders ist.

Wenn dieser Bericht ein Comic wäre, dann würde er vielleicht mit einem Luftbild der Herner Innenstadt und der über einem Haus schwebenden Sprechblase „Toll!“ beginnen. Auf Seite 2 könnte dann eine Leserin eingeführt werden, die in ihrem Wohnzimmer sitzt und begeistert durch den neuen Comic „Simone de Beauvoir. Ich möchte vom Leben alles“ blättert. Und auf den folgenden – sagen wir mal: – 122 Seiten würde die Hernerin Julia, eine der beiden Protagonistinnen dieses fiktiven Comics, schildern, wie es zu diesem besonderen Buchprojekt mit ihrer (Vor-)Namensvetterin kam.

Im echten Leben besucht die Herner Autorin Julia Korbik an einem sonnigen Vormittag die WAZ-Redaktion an der Bahnhofstraße, um mit großer Leidenschaft über eine Premiere zu berichten: Die inzwischen in Berlin lebende 35-Jährige hat nach mehreren Sachbüchern erstmals einen Comic veröffentlicht, in enger Zusammenarbeit mit der Berliner Comiczeichnerin und Illustratorin Julia Bernhard.

Das Cover des Comics.
Das Cover des Comics. © Rowohlt-Verlag

Vom Rowohlt Verlag ist dieser biografische Comic nun nach über zweijährigem Entstehungsprozess veröffentlicht worden. Und von Rowohlt sei Anfang 2021 auch der Anstoß für dieses Projekt gekommen, berichtet Julia Korbik. Dass sie die Adressatin dieses Ansinnens war, lag auf der Hand – war in dem renommierten Hamburger Verlag doch bereits 2017 ihr Sachbuch „Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten“ erschienen.

Für sich entdeckt hat die Hernerin die große französische Feministin und Denkerin (1908-1986) sehr früh, nämlich als Schülerin des Otto-Hahn-Gymnasiums. Im Religionsunterricht hielt sie ein Referat über den Philosophen Jean-Paul Sartre, de Beauvoirs langjährigen Liebes- und Lebenspartner. „Durch sie bin ich Feministin geworden“, sagt Julia Korbik.

Nun also auch noch der Comic oder: die Graphic Novel, wie der Verlag das Buch aus Marketinggründen nennt. Dass Julia Bernhard (31) die Partnerin für dieses Projekt wurde, lag weniger am Vornamen als vielmehr am außerordentlichen Talent. „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ hieß ihr im Avant-Verlag erschienener Band, der 2020 zum besten deutschsprachigen Comic-Debüt gekürt worden ist.

Besuche einer US-Autorin bei Simone de Beauvoir setzen den Rahmen

Zwei Julias, eine Frage: Wie fügen sich Text und Bilder (in der Comicfachsprache: Panels) zu einem Gesamtkunstwerk zusammen?

Am Anfang war der Fokus. „Uns war schnell klar, dass wir uns auf die feministischen Aspekte in Simone de Beauvoirs Leben konzentrieren wollen“, erzählt Julia Korbik. Der zweite wichtige Schritt sei das Setzen einer Rahmenhandlung gewesen: Die Biografin Deirdre Bair besucht die mittlerweile alte Simone de Beauvoir in deren Pariser Wohnung und blickt mit ihr auf deren bewegtes Leben zurück. Keine Fiktion, sondern so geschehen Anfang der 80er-Jahre, wie die US-Amerikanerin Bair später in einem Buch über ihre Pariser Begegnungen mit de Beauvoir und Samuel Beckett („Warten auf Godot“) detailliert schilderte. Für ihre Arbeit an dem Comic war diese Vorlage „ein Glücksfall“, sagt Korbik.

Zu Gast in der Redaktion: Julia Korbik präsentiert stolz ihren ersten Comic. Die Autorin und Journalistin war einst selbst mal für einige Jahre freie Mitarbeiterin der WAZ Herne.
Zu Gast in der Redaktion: Julia Korbik präsentiert stolz ihren ersten Comic. Die Autorin und Journalistin war einst selbst mal für einige Jahre freie Mitarbeiterin der WAZ Herne. © FUNKE Foto Services | Foto: Judith Michaelis / Funke Foto Services

Nach dem Setzen von Fokus und Rahmen habe sie ein Exposé verfasst, anschließend einzelne Szenen ohne Dialog und am Ende das fertige Drehbuch. Julia Bernhard habe dies dann frei interpretieren können: „Sie hat auch eigene Idee und viel Humor eingebracht.“

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Schon mit dem ersten Bild – ein winterliches Panorama von Paris im Januar 1981, aus dem die Sprechblase „Mist!“ aufsteigt – zieht der Comic den Leser/die Leserin in den Bann. Bernhards Zeichenstil ist realistisch, modern und durchgängig in schwarz-weiß-grau gehalten, ergänzt durch eine Kolorierung in Gelb-Ocker-Tönen. Manche Seiten bestehen nur aus einem einzigen Bild, andere aus fünf, sechs Panels in unterschiedlichen Größen. Das ist nicht beliebig, sondern akzentuiert das Erzählte gekonnt.

+++ Berichte Julia Korbik in der WAZ Herne – Lesen Sie auch: +++

Julia Korbik auf den Spuren von Francoise Sagan
Feminismus: Lesung mit Julia Korbik im Schnittpunkt
Wie Julia Korbik durch Simone de Beauvoir Feministin wurde

In Kombination mit Korbiks Schreibkunst entsteht ein großes Seh- und Lesevergnügen, wie auch die Journalistin Sonja Eismann, Mitbegründerin des „Missy Magazine“, befand: „Ein ganzes feministisches Jahrhundert in Worten und Bildern. Diese Graphic Novel katapultiert Simone de Beauvoirs Denken fulminant ins Heute“, so ihr Urteil.

Und dann ist da noch die Sache mit den Hunden. „Gemeinsam mit ihrer persönlichen Assistentin Pina Bausch, die außerdem ihr Hund ist, lebt und arbeitet sie in Berlin“, heißt es über Julia Bernhard und ihrem nach der bekannten Tänzerin und Choreographin benannten Hund am Ende des Buchs im Kurzprofil. Und da auch Julia Korbik Hunde liebt - ihr Familienhund in Herne hieß Whisky -, war sie sehr erfreut über den Kunstgriff ihrer Comic-Partnerin, immer wieder Vierbeiner in die Handlung einzubauen, ohne dass dies störend wirkt.

2018 stellte Julia Korbik im Herner Literaturhaus mit WAZ-Redakteurin Ute Eickenbusch ihr Buch „Oh, Simone“ vor.
2018 stellte Julia Korbik im Herner Literaturhaus mit WAZ-Redakteurin Ute Eickenbusch ihr Buch „Oh, Simone“ vor. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Im Nachwort verleiht Julia Korbik ihrer Begeisterung für die gemeinsame Arbeit Ausdruck: „Selten hat mir ein Buchprojekt so viel Spaß gemacht wie dieses, welches ich mit euch machen durfte“, so ihre Botschaft an Julia Bernhard und an Rowohlt-Lektorin Antje Röttgers. Ein besonderer Dank und bewegende Worte gehen aber auch nach Herne, an ihre Familie.

Wenn dieser Bericht ein Comic wäre, dann würde er vielleicht mit einer Szene im Herner Bahnhof enden. Eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren steigt lächelnd in einen Zug in Richtung Berlin ein, über ihr schwebt eine Sprechblase. „Au revoir“.

>>> Zur Person: Journalistin, Autorin, Feministin

Julia Korbik (35) ist gebürtige Hernerin und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Sie studierte European Studies, Journalismus und Kommunikationswissenschaften.

Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik und Popkultur aus feministischer Sicht. Als Journalistin arbeitete sie unter anderem für ze.tt, Libertine, den Tagesspiegel und die SPD-Zeitschrift „Vorwärts“.

2014 erschien ihr erstes Buch „Stand Up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene, eine Einführung in den Feminismus für junge Menschen“. Es folgten im Dezember 2017 „Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten“ sowie 2020 „Bonjour liberté. Françoise Sagan und der Aufbruch in die Freiheit“. Ihr aktuelles Projekt heißt „Schwestern. Die Macht des weiblichen Kollektivs“. Das Buch soll im Januar 2024 im Rowohlt Verlag erscheinen.

Vor fünf Jahren wurde Julia Korbik in Darmstadt mit dem Luise-Büchner-Preis für Publizistik ausgezeichnet. In der Begründung hieß es unter anderem: „Sie ist eine moderne Feministin, die für ihren Einsatz für Frauenrechte neben konventionellen Mitteln auch neue Formen der Kommunikation und Publizistik nutzt.“

„Simone de Beauvoir. Ich will vom Leben alles“ von Julia Korbik und Julia Bernhard hat 224 Seiten, kostet 25 Euro und ist seit dem 13. Juni im Buchhandel erhältlich.