Herne. Michael Schneider und seine Tochter Kaila durften in England zur Krönung von Charles an den Seilen der Festglocken ziehen – eine alte Tradition.
Kaila zieht ganz fest am Seil. Dann läutet die erste Glocke. Es ist eine Ehre für die Zehnjährige aus Herne. Sie darf als Deutsche im kleinen Ort Chilham das Krönungsläuten für Charles starten. „Ich war noch etwas zu klein“, sagt Kaila. „Deshalb brauchte ich Hilfe und habe mich auf einen kleinen Holzblock gestellt.“ Ihr Vater Michael Schneider lernte die englische Tradition vor gut 20 Jahren bei einem Aufenthalt auf der Insel kennen. Seitdem ist er Feuer und Flamme fürs Läuten.
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Seilkonstruktion funktioniert anders als in deutschen Kirchen
227 Kilo wiegt die Glocke, an der Kaila zieht. Über eine spezielle Seilkonstruktion schafft es auch die Schülerin, das Geläut in Gang zu setzen. „Die Glocken werden anders gespielt als in Deutschland“, erklärt Michael Schneider. Es gebe Gruppen, die sich zum Glockengeläut treffen. Jeder zieht an seinem Seil. Es ergebe sich dann eine spezielle Glocken-Melodie. Der heute 47-Jährige lernte das Läuten vor 23 Jahren als Gastlehrer. Er habe sich damals im Dorf einbringen wollen. „Das Beste, um in die Dorfgemeinschaft zu kommen, ist in die Kirche zu gehen.“
Jetzt zur Krönung waren dann die Läuterinnen und Läuter im ganzen Land gefragt. „Es gibt wohl ein altes englisches Gesetz, nachdem alle Glocken im ganzen Land zur Krönung zu läuten haben“, sagt Michael Schneider, der Sonderpädagoge an der Claudiusschule in Wanne ist. Wäre da nicht der Mangel an Menschen, die in der St. Mary’s Church am Seil ziehen wollen. „Von acht Glocken konnten nur sechs besetzt werden.“
Für die Herner Familie war es also Ehrensache, auf der Insel auszuhelfen, hat schließlich ja auch das Königshaus schon deutsche Einflüsse. „Nach meinem Aufenthalt damals sind Freundschaften entstanden. Ich war immer mal wieder da zum Urlaub“, sagt Schneider.
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Durch den Eurotunnel zu den Krönungsfeierlichkeiten auf der Insel
Für das Glockengeläut, das übrigens am Sonntag zum Start der Straßenfeste begann, reiste die Familie extra an. Für Kaila und ihre sechsjährige Schwester Lani war alleine schon die Reise durch den Eurotunnel ein kleines Abenteuer. Davon mussten die Kinder natürlich auch bei der Rückkehr in der Schule erzählen, eine englische Zeitung und die Erinnerung an die geschmückten Dörfer im Gepäck. Nur die feierliche Deko war schon ausverkauft. Lani will vielleicht demnächst auch die Glocken läuten. Für die Kinder war die englische Sprache übrigens kein Problem. Mama stammt aus Hawaii. Die Kinder wuchsen zweisprachig auf.
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War ja gar nicht so weit weg, könnte man sagen. Denn Chilham liegt gar nicht so weit entfernt von Herne, dem viel kleineren gleichnamigen Ort im englischen Südwesten. Noch bekannter ist der ebenfalls fast benachbarte Küstenort Herne Bay. Bekanntester Ort der Region ist Canterbury, dessen Erzbischof die Krönung vollziehen durfte.
Der König hat noch nicht auf einen Brief geantwortet
Kaila hat nach dem Läuten einen Brief an den König geschrieben. Sie beschreibt der neuen königlichen Hoheit, wie sie in der St. Mary’s Church an den Seilen zog. Ein Foto zeigt auch gleich die Szenerie, samt einer erklärenden Zeichnung. Ihr Problem sei aber nun, dass sowohl ihr Vater als auch sie einen Tag in der Schule verpassen mussten. Kaila bittet den König, ihr wenigstens zu attestieren, dass sie im Dienste der englischen Krone im Einsatz war. „Vielen Dank für Ihre Hilfe im Voraus...“ Den Brief warf sie noch am Wochenende in Chilham in die rote britische Postbox. Der König hat bislang noch nicht geantwortet. Er hatte wohl viel zu tun in den vergangenen Tagen.