Herne. 2014 flüchteten die Autorin Lina Atfah und ihr Mann aus Syrien nach Herne. Bei der Leipziger Buchmesse wurde ihnen nun eine große Ehre zuteil.
Zum Sieg hat es am Ende gegen starke Konkurrenz nicht gereicht: Das 2022 im Pendragon-Verlag erschienene Buch „Grabtuch aus Schmetterlingen“ der Herner Lyrikerin Lina Atfah (34) ging am Donnerstagnachmittag bei der Verleihung der Preise der Buchmesse Leipzig leer aus. Doch schon die Nominierung in der Rubrik „Übersetzung“ sei ein riesiger Erfolg und eine ganz große Ehre, erklärt Osman Yousufi im Gespräch mit der WAZ.
Der 34-jährige Physiklehrer hatte die Gedichte seiner Ehefrau Lina Atfah gemeinsam mit der Berliner Lyrikerin Brigitte Oleschinski aus dem Arabischen ins Deutsche übertragen. Und das offenbar so gekonnt, dass die Jury das Duo für die renommierte Auszeichnung der am Donnerstag eröffneten Leipziger Buchmesse nominiert hatte – als eins von insgesamt fünf für preiswürdig befundenen Veröffentlichungen des vergangenen Jahres und als einziger Lyrikband. Noch ein Superlativ: Noch nie waren Autorinnen und Autoren aus Herne und Wanne-Eickel für einen Preis der Buchmessen in Leipzig und Frankfurt nominiert worden.
Der mit 15.000 Euro dotierte Preis ging schließlich an Johanna Schwering für die Übersetzung von Aurora Venturinis Roman „Die Cousinen“ aus dem argentinischen Spanisch ins Deutsche. Das Team Yousufi und Oleschinski erhielt – wie alle anderen Nominierten – immerhin noch eine Anerkennung von 1000 Euro.
Viel mehr wert als diese Summe ist das Lob, das die Fachjury „Grabtuch aus Schmetterlingen“ vorab zollte: „In ihrem Gedichtband verbindet Lina Atfah aktuelle gesellschaftliche Themen mit der Sprachgewalt magischer Bilder“, heißt es unter anderem in der Begründung der Nominierung des in Deutsch und Arabisch erschienenen Buches. Und: Atfah habe „mit Brigitte Oleschinski und Osman Yousufi eine Nachdichterin und einen Übersetzer gefunden, die der Kraft, dem Reichtum und der Wärme ihrer Gedichte gerecht werden“.
Paar lernte sich an der Universität von Damaskus kennen
Vor dem Hintergrund der (Flucht-)Geschichte von Osman Yousufi und Lina Atfah gewinnt diese Würdigung noch mehr an Gewicht. Das Paar, das sich an der Universität von Damaskus in Syrien kennengelernt hatte, flüchtete 2014 vor Verfolgung und Gewalt aus der syrischen Heimat nach Deutschland und landete schließlich in Wanne-Eickel. Yousufi ist heute Physiklehrer an einer Bochumer Gesamtschule, Atfah eine bundesweit angesehene Lyrikerin. Vor „Grabtuch aus Schmetterlingen“ hat sie bereits den Gedichtband „Das Buch von der fehlenden Ankunft“ veröffentlich.
Die Verse in dem für den Buchmessenpreis nominierten Werk handeln zum Teil von Atfahs Erfahrungen aus dem alltäglichen Leben in Deutschland. Das titelgebende Gedicht erzählt jedoch von Liebe und Verlust, konkret: von einem Engel, der nach kurzer Zeit auf die Erde fällt und stirbt. „Meine Gedichte gehen mir voraus“, sagte Atfah im Oktober 2022 im Gespräch mit der WAZ Herne. Denn: „Grabtuch aus Schmetterlingen“ habe sie geschrieben, bevor sie selbst einen Verlust in ihrem Leben erleiden musste. Atfah war 2020 schwanger mit Zwillingen und verlor sie durch eine Fehlgeburt. „Nachdem das passiert ist, hatte ich das Gefühl, als hätte ich beim Schreiben des Gedichtes gewusst, was mit mir passieren wird“, erzählte sie. Das Gedicht spiegele ihren Schmerz wider und tröste sie.
Im vergangenen Jahr wurde Lina Atfah dann erneut schwanger mit Zwillingen und brachte Anfang April ein Mädchen und einen Jungen zur Welt. Seine Frau und seine Kinder seien wohlauf, zurzeit aber noch in der Klinik, berichtet Osman Yousufi. In Kürze könnten sie diese jedoch verlassen. Sein Aufenthalt in der Kinderklinik endete aufgrund der Reise zur Leipziger Buchmesse bereits vorab.
Auch wenn sie offiziell nicht nominiert sei, so sei seine Frau doch ein wichtiger Teil des intensiven, durch einen ständigen Austausch mit Brigitte Oleschinski geprägten Übersetzungsprozesses gewesen, betont Yousufi. Am Ende dieses Prozesses hätten sie sich mit der deutschen Nachdichterin im Literarischen Colloquium (LCB) am Berliner Wannsee getroffen, um dort den Feinschliff vorzunehmen.
Vor der Geburt der Zwillinge habe seine Frau an einem Romanprojekt gearbeitet, das sie nun aber zunächst habe zurückstellen müssen, sagt Osman Yousufi. Im günstigsten Fall aber nur bis zum Sommer, denn: Dann beginnt für Lina Atfah ein Aufenthaltsstipendium im Künstlerdorf Schöppingen.
>>> Preise und Auszeichnungen für Lina Atfah
Das Stipendium in Schöppingen ist längst nicht die erste literarische Auszeichnung für Lina Atfah. So wurde ihr bereits Ende 2017 im westfälischen Rödinghausen der Hertha-Koenig-Preis verliehen.
Die Laudatio hielt damals die Bestseller-Autorin Nino Haratischwili („Das achte Leben (Für Brilka))“; die gebürtige Georgierin hatte Atfah für diese Auszeichnung vorgeschlagen. Die beiden Frauen kennen sich über das Projekt „Weiter Schreiben“, in dem sie seit 2017 eine Art literarisches Tandem bilden.
Bei der Frankfurter Buchmesse wurde Lina Atfah 2020 der Literatur-Preis verliehen, der Büchern von Autorinnen und Autoren aus Afrika, Lateinamerika, Asien und der Arabischen Welt gilt.
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