Herne. 2019 kam die heute 18-jährige Rawan Kasas nach Herne - ohne Deutschkenntnisse. Inzwischen kann sie es perfekt - und weitere drei Sprachen.

Das Talent-Kolleg Ruhr in Herne kann mit Fug und Recht als Erfolgsmodell bezeichnet werden. Seit dem Start steigt die Zahl der angebotenen Kurse und der Teilnehmerinnen und Teilnehmer kontinuierlich. Das offenbart ein Blick auf die Akademie in den Osterferien. Kamen im vergangenen Jahr 20 Talente zur Viktor-Reuter-Straße, waren es diesmal 147. Unter ihnen war Rawan Kasas. Die 18-Jährige ist Ende 2019 nach Deutschland gekommen, inzwischen spricht sie neben drei anderen Sprachen fast perfekt Deutsch und eilt dem Abitur entgegen.

Um diese Entwicklung einordnen zu können, muss man auf Rawans Lebensweg schauen. Auf dem hat sie in ihren jungen Jahren schon reichlich Irrungen und Wirrungen erlebt und überwunden. Begonnen hat er in Syrien, doch angesichts des unaufhörlichen Bürgerkriegs entschied sich die sechsköpfige Familie, Damaskus zu verlassen. Das erste Ziel sei Ägypten gewesen, erzählt Rawan im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion, doch der Wunsch nach besserer Bildung führte sie nach drei Jahren in die Türkei.

Rawan ist so etwas wie die Familienmanagerin

Schon dort habe sie ihr Talent für Sprachen entdeckt. Sie habe schnell Türkisch gelernt und so ihrer Familie bei verschiedenen Behördenangelegenheiten helfen können. Die Frage, ob sie so etwas wie eine Familienmanagerin sie, beantwortet sie mit einem Lachen - und einem Ja.

Am Talent-Kolleg Ruhr in Herne sind seit dem Start rund 3000 Jugendliche gefördert und beraten worden.
Am Talent-Kolleg Ruhr in Herne sind seit dem Start rund 3000 Jugendliche gefördert und beraten worden. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Dass der Weg von der Türkei Richtung Deutschland - und nach Herne - geführt habe, sei der Sehnsucht nach einer besseren Zukunft geschuldet, erzählt die Schülerin. Rawan ließ keine Zeit verstreichen, um diese Sehnsucht Realität werden zu lassen. Auch Deutsch habe sie „ziemlich schnell“ gelernt, erzählt sie. Nach nur einem Jahr in Deutschland hatte sie den Realschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 2,0 in der Tasche.

Talent-Kolleg wurde schnell auf die Sprachbegabung aufmerksam

Kein Wunder, dass man beim Talent-Kolleg schnell auf Rawan aufmerksam wurde. „Wir begleiten Rawan seit ihrer ersten Zeit in Deutschland und haben sie unter anderem beim Wechsel zur Gesamtschule Wanne-Eickel beraten“, erzählt Leiterin Angelika Dorawa. Darüber hinaus ist Rawan schon so etwas wie ein Stammgast bei den Ferienakademien. Fast bekommt man den Eindruck, dass das Talent-Kolleg für Rawan so etwas wie eine zweite Familie ist. Da passt es ins Bild, dass die Syrerin auch Stipendiatin der Ruhrtalente war.

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Rawan hat recht konkrete Vorstellung für ihren weiteren Weg: „Sprachen sind einfach mein Leben“, sagt sie. So hat sie als einen ihrer Leistungskurse Englisch gewählt - und stehe dort sehr gut. Auch ihre anderen Noten ließen keinen Zweifel, dass sie im nächsten Jahr das Abitur machen wird. „Alles läuft super."

„Ich will auf jeden Fall studieren“

Mittlerweile hat sie mit Französisch und Spanisch begonnen. Sie könne sich vorstellen, als Dolmetscherin zu arbeiten, aber auch der soziale Bereich sei denkbar. „Ich will auf jeden Fall studieren und etwas mit Menschen machen“, erzählt sie. Das tut sie schon jetzt. Rawan engagiert sich ehrenamtlich bei der Caritas und begleitet Familien.

Und selbstverständlich managt sie weiter ihre eigene Familie. Sie gebe ihr Wissen vom Talent-Kolleg an ihre jüngeren Brüder weiter - die wollten auch später das Kolleg besuchen.

>>> DAS ZIEL: JUGENDLICHEN CHANCEN ERÖFFNEN

• Das Talent-Kolleg Ruhr ist 2015 in Herne gestartet. Ziel war und ist es, begabte Jugendliche aus weniger privilegierten Familien an einen Beruf oder ein Studium heranzuführen.

• Seit dem Start ist die Zahl der Talente immer weiter gestiegen. Bis 2021 wurden in Herne rund 2300 Talente beraten und gefördert, mittlerweile dürfte die Zahl jenseits der 3000 liegen.

• Was 2015 als Projekt gestartet war, ist inzwischen dauerhaft gesichert. Eine entsprechende Vereinbarung wurde im März 2020 zwischen der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen und der Stadt Herne unterzeichnet. Die Stadt Herne fördert das Kolleg mit 50.000 Euro im Jahr.