Herne. Im Sozial- und Erziehungsdienst läuft der Arbeitskampf – mit vielen Streiks in Herne. Warum das richtig ist, sagt Sozialarbeiterin Miriam Kraft.
Im Öffentlichen Dienst läuft der Arbeitskampf – immer wieder gibt es Warnstreiks. Dabei sind unter anderem die städtischen Kitas dicht und die kommunalen Sozialarbeiterinnen und -arbeiter sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen legen ihre Arbeit nieder. Wofür kämpfen die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst? Was kritisieren sie? Darüber sprach die WAZ mit der Sozialarbeiterin Miriam Kraft. Die 25-jährige Bochumerin arbeitet auf dem städtischen Abenteuerspielplatz Hasenkamp in Herne und ist Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung der Stadt Herne.
Wenn Sie auf Ihre Bezahlung schauen? Wie groß ist dann Ihr Frust?
Groß. Weil ich sehe, dass überall die Preise angehoben werden und die Inflation hoch ist. Von den ArbeitnehmerInnen wird erwartet, dass sie die Inflation auf ihren Schultern tragen.
Verdi sagt, dass für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst eine deutliche Verbesserung erkämpft werden muss. Was läuft denn schief?
Ein Sozial- und Erziehungsberuf ist ein sehr interessanter Beruf, weil man sich für Menschen einsetzen kann. Man muss sich das aber auch leisten können. Und daran hapert es. Deshalb gibt es auch viele vakante Stellen, zum Beispiel im Allgemeinen Sozialen Dienst, aber auch in Kitas. Und das liegt nicht daran, dass wir nicht genügend junge Menschen haben, die dort eine Ausbildung machen wollen, sondern daran, dass die Ausbildung nicht angemessen bezahlt wird. Da müssen sich Auszubildende teilweise schon einen Zweitjob suchen. Gerade der Öffentliche Dienst sollte mit einem guten Beispiel vorangehen, um Ausbildung wieder attraktiver zu machen.
Worunter leiden die Beschäftigten?
Manchmal unterschätzt man die Arbeit mit Menschen. Wir machen die Arbeit alle unglaublich gerne und unglaublich leidenschaftlich. Aber in vielen Augenblicken, in denen man mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, braucht man sehr viel Geduld und sehr viel Professionalität. Und man vergisst, wie unglaublich belastend auch dieses ständige Wechselverhältnis von Nähe und Distanz in der Arbeit mit Menschen ist und wie wenig man sich da rausziehen kann. Und wenn dann die Arbeitsbedingungen und der Personalschlüssel nicht stimmen, dann ist das eine große Last.
Kommt hinzu, dass sich die Kinder und Jugendlichen in den vergangenen Jahren verändert haben?
Ja, das spüren wir alle. Das sind die Folgen von Corona. Egal ob Kita, Schulsozialarbeit oder Offene Arbeit: Die Kinder und Jugendlichen bringen heute ganz neue Herausforderungen an die Beschäftigten mit, die wir natürlich anpacken wollen. Wir wollen die Kinder und Jugendlichen hierbei begleiten und helfen, dass sie vieles aufholen können. Das ist aber eine große Aufgabe, die viel Arbeit und viel Personal benötigt.
Sie arbeiten auf dem Abenteuerspielplatz Hasenkamp. Das hört sich mehr nach Spaß als nach Arbeit an, die jetzt auch noch viel mehr Lohn erfordern müsste. Trifft Sie dieser Vorwurf?
Diesen Blick von außen haben viele, übrigens teilweise auch einige meiner KollegInnen. Da wird die Arbeit gern mal belacht, da glauben manche, ich spiele nur Kicker. Ein ein Hektar großer Platz mit Kindern, die kommen und gehen, sich ausprobieren und Abenteuer erleben dürfen, muss aber natürlich gut begleitet werden. Unsere Aufgabe ist es, auf die Kinder einzugehen, mit ihren jeweiligen Ressourcen, mit ihren Stärken. Im Gegensatz etwa zur Schule sind wir ein informeller Bildungsort, der das sehen möchte, was die Kinder mitbringen, etwa an Stärken, und wir können helfen, wenn es etwas aufzuholen gibt, wenn sie noch Unterstützung brauchen und möchten. Außerdem hat die Offene Arbeit große Qualitäten. Wir leben Demokratiebildung, fördern viele Kompetenzen, etwa interkulturelle und politische Kompetenzen, aber auch Genderkompetenzen. Ich kann allen einen Besuch auf dem Abenteuerspielplatz empfehlen.
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Hat es Konsequenzen für das Gemeinwohl, wenn die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst nicht vernünftig bezahlt werden?
Wir versuchen immer, professionell an unsere Arbeit heranzugehen. Aber es ist Fakt, dass Menschen, die unglücklich sind und unter schlechten Bedingungen arbeiten, weniger gute Arbeit leisten können. Gerade in der Arbeit mit Menschen sollte man so ein Risiko nicht eingehen. Ich möchte, dass dieser Beruf auch langfristig erstrebenswert ist für junge Menschen und dass die Qualität unserer Arbeit gesichert wird. Denn die Anforderungen an unsere Arbeit und die Qualität unserer Arbeit sind sehr gewachsen. Dieselbe Bezahlung und derselbe Personalschlüssel wie früher reichen da nicht.
Verdi fordert ein Plus von 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Drüber schütteln manche den Kopf: Das sei aber viel. Geht es da auch ein bisschen weniger?
Nein, geht es nicht. Aktuell haben wir eine Inflationsrate von 8,7 Prozent. Bei Nahrungsmitteln liegen wir bei über 20 Prozent. Unsere realen Löhne sinken. Das kann es nicht sein. Wenn am Ende 10,5 Prozent herauskommen oder ein 500-Euro-Sockelbetrag, dann werden auch andere ArbeitgeberInnen nachziehen müssen. Das ist ein Kampf für uns alle.
Viele Städte, vor allem die klammen, stöhnen. Sie sagen: Ein hoher Tarifabschluss kostet zu viel Geld, die Millionen haben wir nicht. Sie warnen: Am Ende müssen das die Bürgerinnen und Bürger mit Steuererhöhungen finanzieren.
Die Frage ist ja: Wofür wollen die Städte Geld ausgeben? Für ihre Mitarbeitenden? Für Ausbildung, Perspektive und Zukunft? Oder dafür eben nicht? Es ist ja Geld da. Es geht nur darum, wie man es sinnvoll investiert.
Auch im aktuellen Arbeitskampf werden bei den Warnstreiks immer wieder auch Kitas geschlossen. Viele Eltern sind angesäuert, ja verärgert, wissen nicht, wohin mit ihren Kindern. Verstehen Sie den Frust?
Na klar, auf jeden Fall. Und das ist ja auch das, was es so unglaublich schwierig macht, sich im Erziehungsdienst für Arbeitsrechte einzusetzen. Weil wir natürlich verstehen, wie sich die Betroffenen fühlen. Aber das ändert leider nichts an der Tatsache, dass der Streik unsere einzige Möglichkeit ist, um für uns selbst einzustehen. Umso wichtiger ist es, dass wir Verständnis für unsere Aktionen bekommen.
In Herne werden bei eintägigen Streiks keine Notgruppen eingerichtet. In anderen Städten läuft das anders. Da ist es womöglich nicht einfach, auf Verständnis zu setzen.
Es gibt für eintägige Warnstreiks keine Notdienstvereinbarungen mit Verdi. Da, wo in anderen Verwaltungen von sogenannten Notgruppen die Rede ist, arbeiten lediglich StreikbrecherInnen. Die Stadt Herne hat einen hohen Organisationsgrad, der Betrieb kann also nicht aufrechterhalten werden. Soll er ja auch nicht, nur so können wir Druck auf die ArbeitgeberInnen ausüben.
Zum Schluss: Sie haben die 10,5 Prozent mehr Lohn beziehungsweise das Plus von 500 Euro, die Verdi fordern, bereits verteidigt. In den Arbeitskämpfen steht am Ende aber immer ein Kompromiss. Mit welchem könnten Sie leben?
Ich habe einen besonderen Blick auf die Auszubildenden, an den 200 Euro mehr Lohn und einer unbefristeten Übernahme würde ich nicht rütteln. Das wäre für mich gesetzt. Und wenn wir uns dann die restlichen Forderungen angucken, da vermute ich, dass in der nächsten Verhandlungsrunde ein Angebot von hohen Einmalzahlungen herauskommen wird. Das ist kurzfristig attraktiv und könnte bei einer Urabstimmung auf viel Akzeptanz stoßen. Prozentuale Erhöhungen wären aber auf lange Sicht wichtig für Altersabsicherung und Rente. Ich bin ja nicht Teil der Verhandlungsdelegation. Jedoch würde ich für mich persönlich auf keinen Fall weniger als neun Prozent mit einer Laufzeit von zwölf Monaten akzeptieren wollen.
>>> Zur Person: Mitglied des Herner Verdi-Ortsvorstandes
Miriam Kraft hat das duale Studium Soziale Arbeit (B.A.) bei der Stadt Herne absolviert. Seit Mitte August ist sie anerkannte Sozialarbeiterin in der Jugendförderung und auf dem städtischen Abenteuerspielplatz Hasenkamp in Herne-Holsterhausen beschäftigt.
Die 25-Jährige ist seit September 2022 Mitglied des Herner Verdi-Ortsvorstandes. Außerdem ist sie Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung der Stadt Herne und Verdi-Vertrauensperson. Miriam Kraft wohnt mit ihrem Partner und zwei Katzen in der Bochumer Innenstadt.