Herne. Ob angedrohter Suizid, Mobbing oder Gewalt in Schulen – die Schulberatungsstelle in Herne hilft. Seit 2020 haben sich die Fallzahlen vervierfacht.

Angedrohter Suizid, Fälle von Mobbing oder auch Gewalt und Konflikte mit den Lehrkräften: In solchen und vielen weiteren Fällen steht die Schulberatungsstelle Herne den Betroffenen zur Seite. „Die Fallzahlen haben sich seit Corona mehr als vervierfacht“, so die traurige Bilanz von Ellen Radtke, Leiterin der Beratungsstelle. Längst gibt es bei ihr und ihrem Team lange Wartezeiten – in Notfällen sind sie aber sofort zur Stelle.

Diese besonderen Krisenlagen können entweder Einzelfälle sein, also nur eine Schülerin oder einen Schüler betreffen, oder aber das gesamte System Schule. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn mehrere Gewaltdelikte an einer Schule geschehen und so das gesamte Miteinander belastet wird. Etwa einmal im Monat werde die Schulberatungsstelle zu solchen größeren Krisen hinzugerufen. Einzelfälle, bei denen etwa ein Schüler Suizidgedanken äußert, bei Fällen von Kindeswohlgefährdung oder auch wenn andere durch die Aggression eines Kindes in Gefahr geraten, seien hingegen „sehr häufig“ – mindestens zwei bis dreimal in der Woche, schätzt Radtke.

Herne: Mehr Schüler drohen Selbstmord an

„Die Androhung und Versuche von Suiziden in der Schule sind mehr geworden“, sagt Radtke. Solche Fälle habe es schon immer gegeben. „Suizidale Äußerungen sind in der Arbeit seit 2020 bis jetzt aber mehr geworden“, so die Schulpsychologin. Und auch in anderen Bereichen ist der Beratungsbedarf stark gestiegen: Wurde die Schulberatungsstelle im Jahr 2020 noch in 87 Einzelfällen hinzugezogen, waren es im Jahr 2022 insgesamt 357 Einzelfälle (weitere Zahlen siehe Tabelle).

Ellen Radtke, Leiterin der Schulberatungsstelle in Herne.
Ellen Radtke, Leiterin der Schulberatungsstelle in Herne. © Kathrin Meinke

Neben der Zunahme der Gewalt von Schülern (die WAZ berichtete), gibt es weitere Themenfelder: „Schulängstlichkeit, Prüfungsängste und Schulabsentismus sind riesige Themen“, sagt Ellen Radtke, die die Schulberatungsstelle in Herne seit 2021 leitet. „Auch das Thema Mobbing war zuletzt bei der Schulberatung deutlich präsenter.“ Bei allen Kontakten zu Schülerinnen und Schülern gelte: „Wir dürfen nur stabilisieren bis zur Aufnahme einer Therapie, aber keine Versorgungslage anbieten“, so die Schulpsychologin.

Schulberatungsstelle Herne hat immense Wartelisten

Die gestiegene Nachfrage sowie die zwei unbesetzten Stellen haben Folgen: „Wir haben eine immense Warteliste“, stellt die Leiterin fest. „Wir schaffen es zu zweit gerade so, die akuten Dinge verlässlich abzuarbeiten.“ Dazu gehören akute Selbst- und Fremdgefährdung, Schulabsentismus, Mobbing und Fälle, bei denen man nicht länger warten könne.

Fälle, bei denen sich etwa ein Schüler oder eine Schülerin nicht gut an Regeln halte, den Unterricht störe oder ein Kinderarzt eine Überprüfung des Leistungsstandes wünsche, landeten auf Warteliste zwei, erläutert Radtke. „Für sie gibt es Wartezeiten von etwa acht Wochen.“ Wer auf Warteliste drei steht, bei der es beispielsweise um Diagnostik zu einer Lese-Rechtschreibschwäche oder Dyskalkulie gehen kann, müssten die Betroffenen gar rund drei Monate warten.

Die Schulberatungsstelle unterstützt aber nicht nur einzelne Schülerinnen und Schülern, sondern in gleichem Umfang auch das System Schule, indem zum Beispiel Lehrkräfte zu bestimmten Themen qualifiziert oder ihnen Supervisionen angeboten werden. Der Vorteil: Mehr Schülerinnen und Schüler profitieren davon, so Radtke.

Serie: Schule 2023 in Herne - es brennt

Aber welche Rolle spielt die Corona-Pandemie bei der stark steigenden Zahl von Fällen? „Corona hat eine Brennglaswirkung gehabt und schon bestehende Problemlagen in Familien und bei Personen zum Entfesseln gebracht.“ Häufig seien es bei den Beteiligten nicht nur eine Belastung, sondern vielfältige. Corona habe nicht nur Stress bedeutet, sondern auch die Ressourcen-generierenden Möglichkeiten stark begrenzt. „Wir Menschen können gut mit Stress umgehen – wenn wir die Möglichkeit haben, den Stress auch abzubauen“, erläutert Radtke. Genau dies sei während der Pandemie nicht möglich gewesen, als die Freizeitaktivitäten, der Sport und die Sozialkontakte verboten waren.

Aber wird es nun nach der Pandemie wieder entspannter? „Ich glaube, es geht nach Corona weiter. Wir dürfen nicht auf Normalisierung warten“, so ihre Einschätzung. „Wir haben eine neue Normalität, bei der es gesellschaftlich und gesamtweltlich einige Schieflagen gibt.“ Die Kinder erlebten Sorgen der Eltern um Inflation, um Finanzen, Wohnungssorgen. Aber auch die Aufnahme der Flüchtlinge in den Schulen. „Die Zeit ist gerade nicht die einfachste.“ Zwar sei sie ein optimistischer Mensch und hoffe auf ein Abflauen, aber seit den Herbstferien sei wieder eine deutlich höhere Zahl an Anfragen eingegangen: „Das hat mein optimistisches Gefühl etwas getrübt.“

>>>WEITERE INFORMATIONEN: Kontakt zur Schulberatungsstelle

  • Die Schulberatungsstelle in Herne hat vier schulpsychologische Vollzeitstellen (drei vom Land finanziert, eine von der Kommune), von denen aktuell aber nur zwei Vollzeitstellen voll besetzt sind. Durch den Fachkräftemangel sei es schwierig, fähige Leute zu finden, so Radtke.
  • Die Schulberatungsstelle berät Schülerinnen und Schüler, Eltern, aber auch Lehrkräfte, Schulleiter oder Schulsozialarbeiter. Sie hilft etwa bei sozial-emotionalen Problemen, Lernschwierigkeiten, Schulabsentismus, Mobbing, bei Konflikten mit Lehrkräften oder Mitschülern. Sie berät aber auch zum Beispiel zur Schullaufbahn oder einem möglichen Schulwechsel.
  • Wer Kontakt zur Schulberatungsstelle möchte: Sie ist in der ehemaligen Königin-Luisen-Schule, Wilhelmstraße 88 ansässig. Telefon: 02323/163640; E-Mail: Schulberatung@herne.de